Das Loch in der Schwarte
als er die Hände in seinem hageren Nakken verschränkte. Mit einem Gefühl der Erregung fasste er seine überwältigende Entdeckung in Worte:
Das Dasein ist voller kleiner, bösartiger Partikel.
Nach einigen Tagen des Nachdenkens taufte er so einen Partikel auf den Namen Kurt, nach dem Scheidungsanwalt seiner Frau. Ein Kurt war mit saurer, unangenehmer Energie geladen, die er ständig loszuwerden versuchte. Er zog durch das Universum auf der Jagd nach allem, was er sabotieren konnte. Ein richtiges Schwein war dieser Kurt, überall konnte er auftauchen. Und letztendlich fand sich für ihn immer ein lohnendes Ziel, und dann spuckte er seine eklige Substanz aus, so dass alles klebte und zum Teufel ging.
Das Problem war nur, dass ein Kurt nicht zu sehen war. Nicht im üblichen Sinne. Was Emanuel dort zwischen den Partikelbahnen fand, das waren eher schwarze, kleine, teuflische Bereiche, einfach kleine Flecken oder besser gesagt Löcher. Sie schienen zahlenmäßig zu wachsen, je wichtiger das Experiment war, je mehr es gekostet hatte, je größer die Hoffnungen waren. Insgesamt konnten die Kurts mit Leichtigkeit ein Neutron zur Seite schieben oder eine Elektronenbahn verbiegen, so dass trotz allem, trotz Monaten gewissenhafter Vorbereitungen, alles zum Teufel ging. Seinem wissenschaftlichen Artikel hatte Emanuel Beispielfotos beigefügt, auf denen Pfeile auf besonders Kurt-intensive Gebiete hinwiesen. Mit einem Gefühl des Triumphs veröffentlichte er seine Erkenntnisse.
Das Ergebnis wurde die größte Antiklimax, die die Welt erlebt hat, seit Schiaparelli behauptet hatte, er hätte Kanäle auf dem Mars entdeckt. Nach einem ersten Verstummen, mit vielsagenden Seitenblicken und hochgezogenen Augenbrauen, brach ein gemeinschaftliches lautes Lachen aus. (Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass die besagten Kanäle tatsächlich existiert hatten, doch bereits vor vierzehn Millionen fahren im Zuge des marsianischen Vernichtungskriegs zerstört worden waren. Der letzten turkmenischen Marsexpedition ist es inzwischen gelungen, Beweise für die ökologische Katastrophe auszugraben, die hinter der Vernichtung lag.)
Die einzigen, die Emanuel nicht auslachten, das waren die Partikelforscher bei CERN. Sie hockten zusammen und studierten seinen verhöhnten Artikel Wort für Wort und schluckten, dass ihre Adamsäpfel hüpften. Bald kursierte der Artikel in jedem CERN-Labor, auf jedem Forschungsniveau, er wurde von den overallgekleideten, nach Ozon riechenden Kilovoltelektrikern bis hin zu den Pinzettenfummlern oben bei der Kernanalyse verschlungen. Es dauerte nicht lange, dann wurde eine Konferenz einberufen. Unter strengster Geheimhaltung. Die Leitung wurde unterrichtet. Die Finanziers. Unter anderem der berühmte Schweizer Schokoladenhersteller, der hinter dem letzten Reklamefeldzug stand: Schokolade ohne Nüsse, das ist wie ein Atomkern ohne Quarks.
Bald war allen klar, dass man hier die Erklärung gefunden hatte. Die Antwort darauf, warum so viel bei CERN schief ging, warum ein so großer Teil der Experimente sabotiert wurde, warum die Sicherungen im entscheidenden Moment durchbrannten, warum die Kaltlötstellen und die verzwickten Relais den Forscheralltag immer zu einem Weg nach Golgatha machten.
Es lag an den Kurts. Genau wie Emanuel begann man die Dunkelkammerfotos genauestens zu begutachten und fand ganz genau wie dieser die dunklen, bösartigen Anhäufungen. Schwarze kleine Kurts. Sie ließen sich nicht einfangen, es fehlte ihnen elektrische Ladung, aber sie enthielten ganz eindeutig eine saure, üble Substanz, die sie im schlimmsten denkbaren Moment von sich gaben. Man unternahm den Versuch, diese klebrige Aussonderung der Kurts zu analysieren. Sie ließ sich wie eine diffuse Wolke erahnen, ein mikroskopischer Tintenfisch, unscharf
fürs Auge, aber klar zu bemerken an den angrenzenden Atomstrukturen, jemand schlug vor, die Substanz als Antienergie zu bezeichnen. Eine Art Gegensatz zur Energie, ungefähr wie die Materie auch ihre Antimaterie hat. Aber das Wort erschien heikel. Schwer auszusprechen. Man diskutierte hin und her, bis der dänische Gastdozent Laudrup das Wort ergriff:
»Die Kurts verbreiten Pech.«
Pech.
Genau!
Laudrups Bezeichnung für die Substanz wurde sofort angenommen. Man hatte ganz einfach Murphys Gesetz erweitert und es einen Schritt weitergeführt. Alles, was schief gehen kann, geht schief. Weil die Welt voll ist mit Kurts, die Pech verbreiten.
Blieb nur noch, den Artikel zu publizieren.
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