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Das Loch in der Schwarte

Das Loch in der Schwarte

Titel: Das Loch in der Schwarte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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Aber alle wussten von Emanuel, wie er ausgelacht und verhöhnt worden war, und keiner war bereit, seine Forscherkarriere aufs Spiel zu setzen. Emanuel selbst hatte sich mit der Diagnose des Burn-out-Syndroms krankschreiben lassen, und sein Bierkonsum unter den Hamburger Versagern hatte ein lebensgefährliches Quantum erreicht. Und das, obwohl er die historische Entdeckung gemacht hatte. Sein Schicksal begann immer mehr dem des ungarischen Arztes Semmelweis zu ähneln, der in seinem Krankenhaus in Wien die Sterberate im Wochenbett senken konnte, indem er forderte, dass die Ärzte sich die Hände wuschen, der deshalb jedoch verspottet und verfolgt wurde und erst nach seinem Tod wieder zu Ehren kam.
    Mit Forschern ist es genau wie mit anderen Menschen. Nach außen hin bewahren sie Haltung, sehen seriös und adrett aus. Aber insgeheim lieben sie es, über die anderen herzuziehen und Gerüchte zu verbreiten. Bei Konferenzen gibt es anschließend immer Klatsch und Tratsch bei Gin and Tonic in der Bar. Nach dem üblichen Karriereplausch darüber, wer Professor geworden ist, ohne es verdient zu haben, wer es auf Grund suspekter Intrigen nicht wurde oder all den obligatorischen Angriffen auf Konkurrenzinstitute, nach dem Prahlen mit den eigenen hervorragenden Arbeiten, nach einer Anzahl alberner Studentenanekdoten und ein paar noch billigeren schlüpfrigen Witzen, ist das Niveau so weit gesunken, dass man das Risiko eingehen kann. Auf dem Tisch steht eine Auswahl neuer Drinks, die Leute beugen sich vor und schlürfen davon.
    »Kollegen und Waffenbrüder«, kann man dann sagen. »Was ist das Schlimmste, das Allerschlimmste, was eurem Institut zustoßen könnte?«
    Jede Menge Vorschläge werden hervorgebracht, angefangen damit, dass der Hausmeister einen begrabscht oder dass der Kaffeeautomat kaputt geht, bis zu der Möglichkeit, dass sich herausstellen könnte, dass die neue vollbusige Doktorandin mit den Gazellenbeinen ein Transvestit ist. Man lässt sie quatschen, bis die Aufregung abebbt, und sitzt währenddessen vollkommen ruhig und zurückgelehnt da mit halb geschlossenen Buddhaaugen. Etwas atemlos werden sie endlich fertig. Einer nach dem anderen wendet sich dem Frager mit erwartungsvoll speichelfeuchten Lippen zu. Und dann sagt man es einfach. Schlicht und einfach:
    »Pech. Das Schlimmste, was passieren kann, das ist Pech haben.«
    Sie starren einen an. Glauben, man wäre betrunken. Und das ist ja gar nicht so schlecht, so kann man ohne Risiko das ganze Programm durchziehen. In aller Ruhe das Unerhörte tun: die Kurttheorie bestätigen. Beschreiben, wie die Kurts ihr Pech verbreiten, und all die verdammte Sabotage, die sie dadurch anrichten.
    »Aber … hrm … nun ja …«
    »Wir sind somit zu dem Schluss gekommen, dass Emanuel Creutzer Recht hat«, schließt man ab. »Es gibt überall Kurts. Auch an Ihrer Universität wimmelt es sicher von Kurts.«
    Die Zuhörer husten angestrengt. Lassen ein unsicheres Lachen vernehmen, knöpfen sich die Hemdkragen auf, beginnen eilig einen Fingernagel zu feilen.
    »Und diese Kurts, die sollen also … Pech verbreiten?«
    Darauf brauchte man gar nicht zu antworten. An der Intelligenz des Publikums war nichts zu bemängeln. In den hochausgebildeten Schädeln begannen die Erinnerungsbilder einander abzulösen. Alles, was im Laufe der Jahre schief gegangen war. Overheadprojektoren, die mitten in einer entscheidenden Rede ausfielen. Abhandlungen, die von der Festplatte gelöscht wurden. Referenten, die an Bauchschmerzen erkrankten. Der wissenschaftliche Assistent, dessen Schädel von einer Kiste grönländischer Gesteinsproben gespalten wurde, die jemand nachlässig aufs oberste Regalbrett gestellt hatte.
    Schon am nächsten Tag ging es los.
    Unter größter Geheimhaltung konnten die CERN-Forscher ihre Kurtstudien über die ganze Welt verbreiten. Um Zeit zu sparen, schrieb Laudrup eine kleine Zusammenfassung, die bald zu einem Artikel anwuchs und schließlich einer regelrechten Abhandlung ähnelte. Er unterzeichnete den Text mit dem Pseudonym Sergeant Pepper und schickte ihn dann per Email über die ganze Weltkugel. Innerhalb kurzer Zeit war die Forschung in vollem Gang. Aufgeregte Teilchenphysiker, Biologen, Mathematiker, Mediziner und Philosophen begannen bald jeder für sich nach Anzeichen für die Existenz der Kurts zu suchen. Dass das Dasein voller kleiner, hinterhältiger Wesen sein sollte, das hatte man zwar bereits seit Anbeginn der Menschheit geahnt, doch erst jetzt war es mehr

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