Das Loch in der Schwarte
oder weniger wissenschaftlich bekräftigt worden.
Und plötzlich begann das Telefon daheim bei Emanuel Creutzer zu läuten. Man wollte wissen, ob er möglicherweise mit diesem Sergeant Pepper identisch sei. Zuerst leugnete er es rundheraus. Aber mit der Zeit erwachte er aus seiner Prozacdiät und begann nach und nach anzudeuten, dass er es vielleicht doch sein könnte.
Und plötzlich war er mitten im Getümmel. Aus allen Ecken der Erde trafen Einladungen ein. Es handelte sich nicht um Vorträge, nein, dieses Risiko wollte man nicht eingehen, sondern um ganz informelle Zusammenkünfte. Ein Geschäftsessen mit ein paar Dutzend geladenen Gästen. Kleine Partys, auf denen er Sergeant Peppers Schlussfolgerungen mit den klügsten Köpfen der Gegenwart diskutieren konnte. Eine Expertensicht bei absolut inoffiziellen Podiumsgesprächen.
Das Geld strömte nur so herein. Seufzende Frauen hinterließen Nachrichten auf seinem Anrufbeantworter. Er kaufte sich einen neuen Zagalloanzug und einen schwarzen Porsche, er tauschte seine ärmliche Vorortwohnung gegen ein hochmodernes FünfZimmer-Appartement in Hamburgs bester Wohngegend. Eines Abends saß er zwischen seinen vielen Vortragsreisen daheim auf dem neuen englischen Glattledersofa, nippte an einem erlesenen Wein aus dem Medoc und lauschte seiner neuen Geliebten aus Bayreuth, die auf dem funkelnagelneuen Flügel Wagner spielte.
Da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.
Er hatte kein Pech mehr.
Er stellte das böhmische Kristallglas ab und bewunderte die Nackenbeuge der blonden, äußerst konzentrierten Schönheit. Sie hatte sich die Haarmähne mit einem Golddiadem hochgesteckt, das er ihr in Mailand gekauft hatte, und er sah, wie der helle, zarte Nackenflaum glitzerte. Die Schulterblätter arbeiteten bei einem kräftigen Fortissimo, und die schmalen schwarzen Schulterträger des Abendkleids schienen wie mit Tusche auf ihre helle Haut gemalt zu sein.
Ich habe jetzt Glück, dachte er. Mein Lebensschicksal hat sich gewendet. Ich bin im Augenblick der größte Glückspilz in ganz Norddeutschland.
Er fragte sich insgeheim, wie es nur dazu hatte kommen können. Er hatte das ja wohl kaum verdient. Nach der ersten Kurtkatastrophe war er vor die Hunde gegangen, alles war zusammengebrochen, und er hatte wirklich angefangen zu saufen. Und irgendwann während dieses Verfalls hatten sich die Kurts aus seinem Leben geschlichen und hatten ihr schreckliches Pech mit sich genommen.
Emanuel war vielleicht ein wenig langsam, aber er war alles andere als dumm. Er begann einen Zusammenhang zu erahnen. Solange er sich angestrengt und gekämpft hatte, ein erfolgreicher Professor und Institutsleiter zu werden, hatten die Kurts sich in Trauben an ihn gehängt und alles, was er tat, mit Pech vergiftet. Aber als er erledigt und erschöpft im Dreck lag, da waren sie es leid geworden und hatten sich davongemacht.
Zuerst vermutete er, es läge vielleicht an der Chemie. An all dem Bier, das er in sich hineingeschüttet hatte. Die Kurts ertrugen möglicherweise keinen Äthylalkohol. Doch dann ging er in sich und musste zugeben, dass er bereits vor der Katastrophe ziemlich viel gesoffen hatte. Vom Flügel her ertönte das Wagnerfinale. Bombastisch, sie zeigte ihm das Profil, rosig erhitzt.
Die Nacht füllte sich mit schroffen Arien.
Ihre geschmeidigen Klavierfinger um seine Peniseichel, kleines, leises Stakkato und Tremolo, bis er wie eine einzige große Saite erzitterte.
Am nächsten Morgen setzte er sich herrlich durchgewalkt an seinen Schreibtisch aus polierter Meereseiche und dachte weiter nach. Welche Menschen hatten Pech? Er bündelte die Beobachtungen, die er im Laufe seines Lebens gemacht hatte, in ein paar konkreten Punkten:
• Jüngere Menschen haben mehr Pech als ältere.
• Nette Menschen haben mehr Pech als Stinkstiefel.
• Intelligente haben mehr Pech als geistig Behinderte.
• Jungs haben mehr Pech als Mädchen, das hält bis ins Alter um die dreißig an, ab dann haben Frauen deutlich mehr Pech als Männer.
• Moslems haben mehr Pech als Christen, was bemerkenswert ist, da Jesus deutlich mehr Pech hatte als Mohammed.
• Juden haben ungeheuer viel Pech.
Emanuel betrachtete schweigend seine Liste. Laut diesen Punkten müsste die am stärksten vom Pech verfolgte Person ein relativ junger, netter und intelligenter Mann jüdischer Abstammung sein. Das traf exakt auf ihn zu. Er war überzeugt davon, auf der richtigen Spur zu sein. Aber das beantwortete noch nicht seine
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