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Das Loch in der Schwarte

Das Loch in der Schwarte

Titel: Das Loch in der Schwarte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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ein Hund. Sie hatten einen Hund dabei. Der Schädelknochen ist mit etwas Hartem, vielleicht einem Hammer, zerschmettert worden. Mit aufsteigender Übelkeit erhebe ich mich und versuche mich zu sammeln.
    »Es ist leer!«, keuche ich ins Mikrofon.
    »Bist du dir sicher?«
    »Ich habe überall gesucht.«
    »Okay, verstanden. Komm zurück.«
    Keuchend gehe ich zurück auf den Gang. Gehe in die falsche Richtung, gelange in einen Vorratsraum. Es gibt noch Essen in den Regalboxen. Suppenpulvertüten, Dorscheintopf mit Zitronengeschmack, Spaghetti Bolognese. Ich schaue aufs Datum, es ist vor mehr als zwanzig Jahren abgelaufen.
    »Ist der Kasten registriert?«, frage ich.
    »Er wird als verschrottet angegeben. Ich habe alle Listen überprüft, sie müssen ihn schwarz weiterverkauft haben. Ein Solotänzer, den niemand vermisst hat.«
    »Ich habe keine Besatzung gefunden.«
    »Komm zurück. Du hast bereits ein Warnzeichen beim Sauerstoff. Komm zurück, dann zerstören wir ihn.«
    Ich beeile mich zurückzufinden. Es wäre fatal, sich im Labyrinth der Flure zu verirren. Aus der Richtung da bin ich gekommen. Aber diese Tür habe ich vorher nicht bemerkt. Ich muss mich verlaufen haben.
    »Immer mit der Ruhe!«, ruft Roger. »Du keuchst, du gerätst in Panik!«
    Ich reiße die Tür auf. Heraus taumelt ein Raumanzug, von Gasen so aufgeblasen, dass er zu platzen droht. Durch das Visier kann ich ein Gesicht entdekken. Die Augen sind grün vom Schimmel.
    »Uääähhh!«, schreie ich.
    »Komm zurück. Scheiß drauf. Komm zurück!«
    »Es ist eine Frau«, sage ich mit gequälter Stimme. »Sie ist gegoren.«
    Aus der Vordertasche ziehe ich die Zange heraus. Suche den aufgeblasenen Handschuh der Frau, packe den Daumen. Mit abgewandtem Gesicht knipse ich ihn ab. Durch das Loch im Raumanzug spritzen die trüben Gase mit voller Kraft heraus. Der Körper wird in der Schwerelosigkeit wie eine Stoffpuppe geschüttelt, zappelt mit gelenklosen Gliedern.
    »Du sollst zurückkommen!«, schreit Roger. »Geh nach hinten und dann rechts.«
    Ich taumle nach hinten und dann nach rechts. Da ist die Notschleuse.
    »Ich hasse das hier«, jammere ich.
    Erschöpft kehre ich zum Mutterschiff zurück, von Frostwellen geschüttelt. Den Daumen frieren wir vorschriftsmäßig für die DNA-Identifikation ein. Und dann sprengen wir das Geisterschiff mit einer gebündelten Ladung, verwandeln den ganzen Sarg in herum wirbelnden Weltallkies.
    Ich sehe die ganze Zeit den Hund vor mir. Die Frau muss seine weiche Schnauze gestreichelt haben, als das Ende nahte, und ihn keuchend um Verzeihung gebeten haben. Sie hat ihm tief in die braunen Augen geschaut, während der Hundeschwanz erwartungsvoll gegen den Boden klopfte. Immer wieder hat sie den Hammer gehoben, um ihn ohnmächtig wieder fallen zu lassen. Hat versucht, sich selbst davon zu überzeugen, dass die Qual so kürzer sein würde. Dass sie es aus Liebe täte.
    Es gab einen Namen am Halsband. Sie hatte den Hund Laika genannt.

    0,002

    as größte Ereignis in der Geschichte der Erde trat durch Zufall an einem Mittsommerabend in der nordfinnischen Stadt Oulu ein. Zum großen Teil lag es am Wetter. Ganz Europa lag an diesem Abend unter einem Tiefdruckband, ungewöhnlich kompakt für die Jahreszeit, und der größte Teil des Kontinents war deshalb von einer grauen, undurchdringlichen Wolkendecke verdeckt. Bis auf den äußersten Norden. Die finnischen Waldgebiete glühten einladend in der Abendsonne, die zehntausend Seen glänzten wie Schmuckstücke, und aus Orten und von Stränden stiegen die unzähligen Rauchsäulen der finnischen Mittsommerfeuer empor.
    An Oulus Rand, am Ufer des Sees Pyykösjärvi, stand der finnische Schulhausmeister Arto Liinanki und kaute an einer Grillwurst. Das Feuer erhitzte sein Gesicht, das Würstchenfett lief ihm über die Lippen.
    »Senf wäre nicht schlecht«, dachte er. »Schade, dass ich Senf vergessen habe.«
    Um das Feuer herum saßen oder standen gut zwanzig Leute, die Bierflaschen glänzten im Gras, eine Frau in Jeansjacke hatte sich summend über eine Gitarre gebeugt.
    »Hat jemand Senf?«, rief Arto.
    »Im Kofferraum«, zeigte Kimmo und öffnete geschickt ein weiteres Bier mit dem Feuerzeug.
    Arto ging zum Parkplatz, ein wenig unsicher im Schritt.
    Einige Mücken umkreisten hartnäckig seinen Nacken. Er kam an einem Birkenknick vorbei und blieb dort stehen, um die Blase zu erleichtern. Mit der freien Hand öffnete er den Hosenschlitz und ließ dann den warmen Strahl auf einen

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