Das Loch in der Schwarte
Es dauert ein paar Sekunden, dann wird der Bildschirm knallgrün.
»Nein, das darf nicht wahr sein«, stöhnt Roger. »Nicht schon so früh am Morgen.«
Ich verspüre die gleiche Unlust wie er. Beginne hart zu bremsen, während der Punkt auf dem Bildschirm immer größer wird, letzt sind die Konturen zu sehen. Es gibt keinen Zweifel mehr. Das ist ein Raumschiff. Ich rufe es immer wieder an, doch es
antwortet nicht. Das verspricht nichts Gutes.
»Komm, scheißen wir drauf«, sagt Roger.
Aber ich bremse weiter. Wir haben eine Überprüfungspflicht, falls etwas nicht zu stimmen scheint, sie vielleicht in Not geraten sind. Ich schalte die Scheinwerfer ein und betrachte das Schiff durch die Fensterscheibe.
»Ist es von zu Hause?«
Ich nicke. Ein alter Venuspendler, vollkommen erloschen, mit hervorragendem Steg und Masten wie eine tote Libelle. Ich versuche sie weiterhin anzurufen, bekomme aber keine Antwort.
»Sollen wir die anderen wecken?«, fragt Roger.
Ich schüttle den Kopf, wohl wissend, wie sauer sie sein würden.
»Wir losen«, schlage ich vor.
Er holt einen Würfel, und wir würfeln jeder einmal. Ich verliere. Resigniert klettere ich hinunter zur Luftschleuse und ziehe mir den Raumanzug an. Zusammengekrümmt zwänge ich mich in die Servicekapsel. Lege mich am Armaturenbrett auf den Bauch, während die Kapsel sich verschließt. Vor mir gleitet die Saugluke auf. Mit einem erregenden Gefühl sehe ich, wie sich das Weltall vor mir öffnet, seinen schwarzen, sternenbesäten Abgrund. Mit einem kurzen Druck auf den Handregler schieße ich hinaus in die Schwerelosigkeit. Es ist ein Gefühl, als fiele man in eine Tiefseespalte. Die Kapsel koppelt sich vom Frachter los, ein kleines, spulenförmiges Plankton, das aus den Hautfalten des Blauwals auftaucht. Wie ein funkelnder Torpedo gleite ich auf den Fremden zu. Vorsichtig manövriere ich zwischen den zerschlagenen Schilden und den gebrochenen Masten herum und finde bald ihre Andockluke. Sie ist vernarbt und zerbeult, unmöglich aufzubekommen. Etwas Schweres muss sie getroffen haben. Vorsichtig manövriere ich weiter am Rumpf entlang, bis ich eine Notschleuse entdecke. Ich schlängle mich aus meiner Kapsel heraus und versuche sie manuell zu öffnen, klammere mich von außen an meiner Hülle fest, schutzlos und entblößt. Erleichtert spüre ich, wie der Verschlussbolzen nachgibt. Die Luke öffnet sich, weiße Flocken unbekannter Art wirbeln heraus. Ich messe den Druck in dem offenen Schlund. Er ist nahe Null. Es ist zu spät, alles scheint vorüber zu sein.
»Ein Gespensterschiff«, rufe ich Roger zu.
»Glaubst du?«
»Fast keine Luft mehr drinnen. Ich gehe rein und checke die Lage.«
Einer von uns muss hinein und nachsehen, das gehört zum Reglement. Es kann noch jemand im Komagefrierer liegen, den man retten kann. Unten im Loch ist alles schwarz, ich drehe an der Helmlampe, während ich hineintauche. Das ganze Schiff erscheint
wie ein Grab. Eine dünne Staubschicht wirbelt in den Korridoren auf. Wie aus Asche. Hat es hier drinnen gebrannt?
Ich beginne damit, die Schlafkojen zu untersuchen. Sie sind leer. Schmutzige Kleidungsstücke schweben obszön in der Schwerelosigkeit herum. Lange Strümpfe, ein weißer Kunstledergürtel, ein schmutziger Verband. Im Lampenschein ähneln die Teile grotesken Schlangen.
Aufmerksam gehe ich weiter. Ein paar leere Plastikverpackungen wogen wie Quallen im Flur auf und ab, ich fange eine von ihnen ein. Benutztes Blutplasma. Mit wachsender Unruhe begebe ich mich in den Navigationsraum. Er ist voll kleiner Teilchen, die in der Dunkelheit herumschwirren. Irgendeine Art von Plastikmüll. Oder sind es Eisstückchen? Ich fange eine Scherbe ein und sehe, wie ihre scharfen Kanten glitzern. Zerbrochenes Silikatglas. Jetzt bemerke ich, dass alle Plasmaschirme zerschlagen sind. Wurde das Schiff vielleicht von Piraten überfallen? Die Scherben schlagen mir gegen das Visier, während ich herumschwimme, ein knackendes, unangenehmes Geräusch. Keine Spur von der Besatzung, kein Logbuch. Sie müssen sich mit der Rettungskapsel rausgeschossen haben.
Der Notsender ist immer noch auf Sendung. Ich drücke auf die Tasten, aber die Reserveenergie ist schon seit langem verbraucht. Da entdecke ich eine
Schnur, an einen Schreibtischstuhl festgebunden. Sie führt unter den Tisch. Ich beuge mich schwerfällig hinunter. Richte das Licht darauf, weiche erschrocken zurück. Ein grinsender Fellschädel. Eine graue, eingetrocknete Zungenspitze. Es ist
Weitere Kostenlose Bücher