Das Locken der Sirene (German Edition)
dreimal in genauso vielen Minuten auf die Uhr geschaut und J. P. etwas zugeflüstert, was, wenn ich seine Miene richtig deute, eine Todesdrohung gewesen ist. Sie sind gegen Ihren Willen auf dieser Feier. Und ich kann Sie hier rausbringen.“
Zack schenkte ihr ein selbstironisches Lächeln.
„Unglücklicherweise haben Sie recht. Ich bin gegen meinen Willen hier, und ich frage mich, wieso Sie hier sind. Hatte ich Ihnen nicht eine Hausaufgabe gegeben?“ Er erinnerte sich an die überhastete Entscheidung heute Morgen, ihr die Chance zu gewähren, ihn zu beeindrucken.
„Das haben Sie. Und ich war ein gutes Mädchen und habe sie gemacht. Sehen Sie?“
Er versuchte, nicht hinzusehen, als sie mit zwei Fingern in ihr Dekolleté fuhr und ein zusammengefaltetes Stück Papier herausholte, doch es gelang ihm nicht. Sie reichte ihm den Zettel. Er war noch ganz warm von ihrer Haut.
„Das ist es?“ Er sah nur drei Absätze auf der Seite.
„Beurteilen Sie ein Buch nicht anhand seiner Verfasserin. Lesen Sie einfach.“
Zach schaute sie noch einmal an und wünschte, er hätte es nicht getan. Jedes Mal, wenn er sie ansah, fand er etwas anderes, was ihn anzog. Ihr Mantel war über ihre Schulter gerutscht und gab den Blick auf ihre blasse definierte Schulter frei. Definiert? Seinem kleinen Autor wurde bei ihren Kurven ganz schwummerig. Sie war zäher, als sie aussah.
Zach riss sich zusammen, wandte sich von ihr ab und hielt den Zettel so ins Licht, dass er etwas lesen konnte.
Das Erste, was sie an ihm bemerkte, waren seine Hüften. Die Augen mochten das Fenster zur Seele sein, aber die Lenden eines Mannes waren der Sitz seiner Kraft. Sie bezweifelte, dass er seine Kleidung selber ausgesucht hatte – die perfekt sitzende Jeans und das schwarze T-Shirt, das seinen straffen Bauch bedeckte und so die Aufmerksamkeit auf seinen Unterkörper lenkte. Doch er trug sie, und nun verlor sie sich in dem Gedanken, mit ihren Lippen diese köstliche Kuhle zu liebkosen, die sich zwischen der weichen Haut und dem elegant hervorstehenden Hüftknochen bildete
.
Schließlich musste sie ihm in die Augen schauen. Nur widerstrebend ließ sie den Blick zu seinem Gesicht gleiten, das so elegant und kantig war wie der Rest von ihm. Blasse Haut und dunkles, raspelkurz geschnittenes Haar standen im Kontrast zu den Augen, die die Farbe von Eis hatten. Seine Augen sind aus Gletschereis, dachte sie. Sie sprachen von verborgenen Tiefen. Er war ein schöner Mann, dazu gemacht, von einer intelligenten Frau bewundert zu werden
.
Schlank und groß mit dem Körper eines Athleten, war er für sie der Inbegriff von Männlichkeit. Die Welt verblasste in seiner Gegenwart, und jetzt, wo er nicht mehr da war, blieb ihr nichts als die ebenso machtvolle Leere, die er hinterlassen hatte
.
Zach las den Text noch einmal und versuchte dabei das verstörend angenehme Bild einer Nora Sutherlin zu verscheuchen, die seine nackten Hüften mit ihren Lippen liebkoste.
„Mir ist aufgefallen, dass Sie in Ihren Büchern normalerweise von langen beschreibenden Szenen Abstand nehmen“, sagte er.
„Ich weiß, die Leute denken, bei Erotika handelt es sich um nichts anderes als schlichte Liebesromane, in denen es etwas rauer zur Sache geht. Das stimmt aber nicht. Wenn sie überhaupt einem Subgenre zugeordnet werden kann, dann dem Horror.“
„Horror? Ist das Ihr Ernst?“
„Liebesromane bestehen aus Sex plus Liebe. Erotikromane sind Sex plus Angst. Sie haben doch Angst vor mir, oder nicht?“
„Ein wenig“, gab er zu und rieb sich den Nacken.
„Ein kluger Horrorautor wird nie zu viel über das Monster schreiben. Die Vorstellungskraft des Lesers ist viel besser darin, eigene Dämonen heraufzubeschwören. In Erotikromanen wünscht man sich daher die Protagonisten nie zu genau beschrieben. So können die Leser sowohl ihre eigene Fantasie als auch ihre eigenen Ängste einfließen lassen. Erotik ist immer eine Gemeinschaftsarbeit von Autor und Leser.“
„Inwiefern?“, fragte Zach. Er war fasziniert, dass Nora Sutherlin ihre eigenen Theorien über Literatur hatte.
„Erotik zu schreiben ist, als würde man jemanden zum ersten Mal ficken. Man ist nicht so ganz sicher, was er gerne mag, und deshalb versucht man, ihm alles zu geben, was er wollen könnte. Alles und mehr …“ Sie zog die Worte genießerisch in die Länge, wie eine Katze, die sich in der Sonne rekelt. „Man berührt jeden Nerv, und vielleicht gelingt es schließlich,
den einen
Nerv zu treffen. Habe ich bei
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