Gaelen Foley - Amantea - 03
carlo Ettore di Fiore die kleine Flasche, die ihm dargeboten wurde, mit der juwelengeschmückten Hand beiseite. Er war nicht in der Laune, um Alkohol zu trinken, sondern sann darüber nach, wie sehr Dante sich geirrt hatte.
Das Inferno konnte nicht schlimmer sein als diese Welt des Müßiggangs, in der er sich befand und schon seit Ewigkeiten auf eine Änderung wartete.
Der Sohn eines bedeutenden Mannes zu sein war nicht leicht. Er war nicht nur eine Persönlichkeit, sondern noch dazu scheinbar unsterblich. Keineswegs wünschte Rafael sich das Ableben seines Vaters, aber die Tatsache, dass er, Rafael, morgen dreißig wurde, lastete ihm schwer auf der Seele.
Die Zeit verging wie im Flug, doch er selbst bewegte sich nicht vom Fleck. Hatte sich irgendetwas in seinem Le- ben wirklich verändert seit seinem achtzehnten Lebensjahr? Beim Klang einer munteren Arie aus Don Giovanni zählte er innerlich missmutig auf, dass er noch immer dieselben Freunde hatte, den gleichen Spielen nachging und sich einem sinnlosen Luxus hingab – gefangen in einem goldenen Käfig.
Es war ihm nicht möglich, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, da er nur eine Marionette in den Händen seines Vaters war. Alles, was eine Änderung in seinem Leben be- traf, musste erst vom Hof, von den Zeitungen und dem Senat ausdiskutiert werden. Er hatte es satt. Er führte nicht das Leben eines Prinzen, sondern das eines Gefangenen in einer Strafkolonie – nicht das eines Mannes, sondern das eines unmündigen Kindes.
Rafael hatte es aufgegeben, seinen Vater um eine sinnvolle, ihn erfüllende Aufgabe zu bitten. Der alte Tyrann weigerte sich standhaft, auch nur einen Teil seiner Macht an den Sohn abzutreten.
Ach, warum kümmerte es ihn eigentlich noch? Er konnte genauso gut seine Jahre schlafend in einem Glassarg in ei- nem mit dornigen Rosen überwucherten Schloss verbringen – es würde keinen Unterschied machen. Man brauchte ihn erst dann zu wecken, wenn sein Leben endlich anfing ...
Und endlich fuhr unten auf der Bühne Don Giovanni in die Hölle, und das Opernfinale war da. Der Kronprinz und sein Gefolge verließen die Loge, während das Publikum noch Beifall klatschte.
Rafael blickte starr geradeaus, als er mit seinen Freunden durch die mit Marmor verkleidete Halle schritt. Er gab vor,
die Leute nicht zu sehen, die sich aufgereiht hatten und ihn strahlend anschauten. All die freundlichen Menschen, die ein Stück von ihm haben wollten – wie die stämmige Matrone, deren Gesicht ihm irgendwie bekannt vorkam. Sie versuchte, ihn aufzuhalten.
„Königliche Hoheit“, rief sie, während sie einen tiefen Knicks machte. „Wie wunderbar, Sie heute Abend zu sehen! Mein Gatte und ich würden uns sehr geehrt fühlen, wenn Sie uns auf unserer Soiree die Ehre erweisen würden. Auch unsere wirklich entzückenden drei Töchter ...“
„Ich bedaure, meine Dame. Guten Abend“, brummelte der Kronprinz missvergnügt und blieb nicht einmal stehen. Mein Gott, rette mich vor diesen Müttern.
Ein aufdringlicher Journalist drängte sich durch die Menge. „Königliche Hoheit, haben Sie letzte Woche wirklich fünfzigtausend Lire bei einer Wette gewonnen? Und ist bei Ihrem Phaeton während des Rennens tatsächlich die Achse gebrochen?“
„Werfen Sie ihn hinaus“, murmelte Rafael seinem Freund aus Kindertagen, Adriano di Tadzio, zu.
Dann stellte sich ihm irgendein Conte mit einer würdevol- len Verbeugung in den Weg. „Königliche Hoheit, was für eine hinreißende Darstellung von Signorina Sinclair! Ich würde Ihnen so gern ein paar Bekannte vorstellen ...“
Rafael warf ihm einen finsteren Blick zu und schritt wort- los um den glatzköpfigen Mann herum. Er und sein Gefolge blieben nicht mehr stehen, bis sie die Garderobenräume des großen Theaters erreicht hatten.
Als Rafael und seine Freunde die Garderobe der Sängerin- nen betraten, begann er, sich sogleich besser zu fühlen. Die Spannung fiel von ihm ab, denn der Anblick der kaum be- kleideten Frauen, die dort herumliefen, belebte seine Sinne. Frauen. Deren warme, duftende Haut ließ ihn freier atmen. Lächelnd blickte er sich um und betrachtete zufrieden die Auswahl, die sich ihm bot.
„Da ist er!“
Die Damen plapperten begeistert durcheinander und stürz- ten sich aus allen Ecken der vom Kerzenlicht erleuchteten Garderobe auf ihn.
„Rafael!“
Alle redeten gleichzeitig und zogen ihn auf einen Stuhl, wo sich drei der Darstellerinnen sofort auf seinen Schoß setz- ten. Kichernd
Weitere Kostenlose Bücher