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Das Locken der Sirene (German Edition)

Das Locken der Sirene (German Edition)

Titel: Das Locken der Sirene (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tiffany Reisz
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Søren die Spitze seines Zeigefingers zwischen Owens Augen legte. Owen schielte, und beide lachten. „Du bist vorerst entlassen. Aber versuch bitte etwas langsamer zu laufen.“
    Owen sauste wieder davon, doch dieses Mal zügelte er sein Tempo.
    Nora schaute sich im Gemeindesaal um, vorbei an den Tischen, an denen die Eltern beisammensaßen und miteinander redeten, ohne ihre Kinder dabei aus den Augen zu lassen.
    „Früher wollte ich mal deine Kinder haben“, sagte sie, ohne ihm in die Augen zu blicken.
    „Ich habe dir doch gesagt, dass Michael für mich wie ein Sohn ist. Und du hattest ihn schon, nicht wahr?“
    Nora atmete scharf ein. „Es gibt einen Unterschied zwischen Sadismus und Grausamkeit. Ich hoffe, du lernst ihn eines Tages.“
    „Erinnerst du mich dann daran, was von beidem du bevorzugst?“
    „Ich gehe jetzt, Søren. Ich danke dir für einen weiteren schönen Jahrestag.“
    Nora drehte sich auf dem Absatz um und eilte aus dem Saal. Sie hörte Schritte hinter sich, ging jedoch unbeirrt weiter. Sie schaffte es aber nur bis zur Tür. Er rief ihren Namen.
    Sie blieb stehen und drehte sich zu Søren um.
    „Es ist für mich so schon schwer genug, einmal im Jahr hierher zurückzukehren und dich zu sehen“, sagte sie. „Du musst es mir nicht noch schwerer machen.“
    Søren hob die Hand zu ihrem Gesicht. Er streifte ihre Wange mit den Fingerspitzen. Sie schaute sich um, weil sie nicht wollte, dass jemand sie dabei beobachtete. Eine Angewohnheit, die sie nie abgelegt hatte.
    „Verzeih mir. Für mich ist es auch schwer.“
    „Ich hätte nicht gedacht, dass es etwas gibt, das für dich schwer ist.“
    Søren ließ die Hand sinken und trat aus dem Sonnenlicht in den Schatten vor dem Schrein der Jungfrau Maria.
    „Ausgerechnet du dürftest eigentlich keine so hohe Meinung von mir haben.“
    Nora lächelte und folgte ihm in den Schatten. „An dem Tag, als ich dich das erste Mal gesehen habe, dachte ich, du wärst allmächtig.“
    „Damals warst du fünfzehn, Eleanor.“
    „Ich denke das auch heute noch.“
    Sørens Lachen klang hohl und nüchtern. „Wenn ich so allmächtig wäre, wärst du heute noch mit mir zusammen, Kleines. Ich hatte nicht die Macht, dich daran zu hindern, zu gehen.“
    „Doch, die hattest du“, gab sie zurück. „Du hast mich nur zu sehr geliebt, um diese Macht zu missbrauchen.“
    „Vielleicht habe ich dich immer zu sehr geliebt.“ Søren hob den Blick zur Statue der Jungfrau Maria. „Unser gemeinsamer Bekannter hat mir erzählt, du hättest die Arbeit an deinem Buch aufgegeben.“
    Nora zupfte nervös an den Manschetten ihrer Bluse. „Zach hat herausgefunden, womit ich mein Geld verdiene. Daraufhin hat er den Deal aufgekündigt.“
    „Du kannst doch bestimmt auch ohne ihn schreiben.“
    „Ich bin nicht sicher, ob ich das kann. Er ließ mich mein Buch mit völlig anderen Augen sehen. Vor der Zusammenarbeit mit ihm war ich nur eine Schmutzige-Geschichten-Erzählerin. Eine Zeit lang durfte ich mich wie eine richtige Schriftstellerin fühlen.“
    „Beantworte mir eine Frage, Eleanor. Warum hast du angefangen, mit unserem Monsieur zusammenzuarbeiten?“
    „Ich hatte nichts. Er bot mir einen Job an.“
    „Du hättest in jedem anderen Job arbeiten können. Warum musste es dieser sein?“
    „Er hat mir gesagt, ich würde viel Geld verdienen, ohne viel arbeiten zu müssen. Ich dachte, das gibt mir die …“ Sie verstummte und schluckte schwer. „Die Freiheit und die Zeit, um zu schreiben.“
    „Deine Arbeit für Kingsley war also nur ein Mittel zum Zweck. Es sollte nie das Ende der Fahnenstange sein.“
    Nora wusste nicht, was sie darauf antworten sollte.
    Søren griff in die Hosentasche. Er zog ein kleines schwarzes Samtsäckchen heraus und legte es ihr in die Hand.
    „Was ist das?“, fragte sie.
    „Dein richtiges Geschenk zum Jahrestag.“
    Nora öffnete das Säckchen, und ein silberner Anhänger an einer Kette fiel in ihre Hand. Sie hielt sich den Anhänger dicht an die Augen.
    „Ein Schutzheiliger?“ Sie lachte. „Ich habe seit Jahren keinen solchen Anhänger mehr getragen. Wer ist das? St. Michael? Die heilige Maria Magdalena?“
    „Es handelt sich um den Apostel Johannes.“
    „Der heilige Johannes – der Schutzheilige der Narren und Exgeliebten?“, riet sie aufs Geratewohl.
    „Nein“, sagte Søren. Er sprach leise, und seine Augen wurden sanft. „Der Schutzheilige der Schriftsteller.“
    Noras Hand zitterte leicht, und sie schaffte es nicht, sich die

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