Das Locken der Sirene (German Edition)
Kette umzulegen.
Søren nahm ihr die Medaille aus der Hand und legte sie ihr um den Hals. Nora schloss die Augen und genoss diesen kurzen Moment, in dem seine Arme sie umfingen.
„Unser Herr Jesus hatte zwölf Jünger“, sagte Søren und trat einen Schritt zurück. „Nach seinem Aufstieg in den Himmel wurden sie in alle vier Winde verstreut und bis in den Tod verfolgt. Merkwürdig, aber allein dem Heiligen Johannes, dem Schutzheiligen der Schriftsteller, gelang es, nicht den Märtyrertod zu sterben.“
„Du hast es immer gehasst, wenn ich die Märtyrerin spielte. Ich bin nicht sicher, ob ich es verdiene, das hier zu tragen.“
„Genesis Kapitel 1, Vers 1:
Gott ließ Licht werden, und es ward Licht …
Gott erschuf die Welt mit seinen Worten, Eleanor. Worte sind die Fäden im Teppich dieses Universums. Du schreibst, weil das Schreiben dich Gott näher bringt. Ich war so dumm, zu glauben, dass ich es schaffe, dich Gott näher zu bringen. Aber das Schreiben – das bist du.“
„Zach denkt nicht so.“
„Dann ist er ein größerer Narr, als ich es war. Ich kenne dich, Kleines. Du hast es schon einmal geschafft, dich aus der Hölle freizuschreiben. Du schaffst das auch ein zweites Mal.“
„Das Buch ist noch nicht fertig, und mir bleibt nur noch eine Woche, ehe er nach L. A. geht. Nicht, dass er es überhaupt lesen würde, selbst wenn ich es fertig bekäme.“
„Dann sage ich es mal so, wie du es ausdrücken würdest – scheiß auf ihn. Bring das Buch zu Ende. Nicht für mich oder für Zachary oder für Wesley. Auch nicht für Gott. Bring es um deinetwillen zu Ende.“
Nora lachte trotz der Tränen, die ihr in den Augen brannten.
„Ist das ein Befehl?“
„Bedarf es denn eines Befehls?“
Nora dachte darüber einen Moment nach. Sie dachte an die Energie, die durch ihre Adern strömte. Ihr blieb eine Woche, ehe Zach nach L. A. ging. Was war, wenn sie es ohne ihn vollendete? Sie konnte einfach zu ihm gehen und ihm das fertige Buch vor die Füße schleudern. Der Vertrag war ihr egal. Sie hätte das Buch dann vollendet, weil sie wissen wollte, wie es ausging.
„Nein, ich glaube, das kriege ich auch ohne hin.“
„Dann geh.“ Søren nickte zur Tür.
Nora rannte fast hinaus. Im letzten Moment blieb sie kurz stehen und drehte sich noch einmal zu ihm um. „Du hättest mich behalten können. Das weißt du doch, oder?“, fragte sie.
Søren riss ein Streichholz an und entzündete eine Kerze unter dem Schrein. „Ich wünschte, du hättest mich behalten.“
Nora konnte nichts sagen, wollte nichts sagen. Aber sie musste auch nichts mehr sagen, solange sie schreiben konnte. Sie verließ die Vorhalle und trat hinaus ins Sonnenlicht. Ein letztes Mal blickte sie zur Sacred Heart zurück und wusste, dass ihr geliebtes Herz dort drinnen blieb. Manchmal, dachte sie, wünschte ich, du hättest mich wirklich aufgehalten.
Bei ihrer Heimkehr wartete Wesley im Wohnzimmer auf sie. Er schien ehrlich erleichtert zu sein, sie unversehrt zu sehen. Sie lächelte, als sie daran dachte, wie viel dankbarer er erst in ein paar Minuten sein würde.
„Du bist nach Hause gekommen“, sagte er.
„Ich muss da noch ein Buch schreiben.“
Ein Lächeln, das so strahlend war wie die Sonne vor den Fenstern, erschien auf Wesleys Gesicht. Aber es verblasste sofort wieder, als er ihr das rote Handy hinhielt.
„Es hat während deiner Abwesenheit geklingelt.“
Nora nahm ihm das Telefon ab und drückte auf die 8. Für sich und für sonst niemanden würde sie das Buch beenden. Aber das hier konnte sie wenigstens für Wesley tun.
„Pardonnez-moi
, Madame“, begann Kingsley, als er ans Telefon ging. „
Mais …“
„Vergiss es, King. Nimm es nicht persönlich, aber Mistress Nora ist nicht länger im Geschäft.“
„Wie lange denn diesmal,
chérie
?“ Sie hörte das Lachen in seiner Stimme.
Nora schaute Wesley an und lächelte. „Für immer.“
Sie ließ das Handy auf den Boden fallen. Mit einem schnellen Tritt zerquetschte sie es unter dem Absatz ihres Schuhs.
Wesley nahm sie in die Arme und wirbelte sie herum.
„Lass mich runter, Junge! Ich hab nicht viel Zeit, und ich muss noch verflucht viel schreiben. Koch mir Kaffee, und schalte alle Telefone aus. Das Internet stöpselst du auch aus, und du gehst nicht an die Tür. In der kommenden Woche werde ich alle Nächte durchmachen.“
„Ich dachte, Zach hat gesagt …“
„Scheiß auf Zach. Ich schreib das Buch für mich.“
29. KAPITEL
N och eine Woche …
Zach
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