Das Locken der Sirene (German Edition)
denkst du, ist die höchste Form der Kunst?“
„Literatur“, erwiderte er, ohne zu zögern. „Maler und Bildhauer benötigen ihre Werkzeuge und Zubehör. Tänzer brauchen Musik. Musiker müssen Instrumente haben. Die Literatur braucht nichts außer eine Stimme, die sie laut aufsagt, oder Sand, in den man sie schreibt.“
Mary trat an das Regal und zog drei Titel von Royal House heraus. Sie legte die drei Bücher mit dem Gesicht nach unten auf seinen Schreibtisch. Dann zeigte sie nacheinander auf den Barcode der Bücher.
„Selbst die höchste Form der Kunst wird verkauft, Zach. Und du als außergewöhnlicher Lektor bist es, der den Preis bestimmt.“
Zach blickte zu ihr auf. „Du findest, ich bin prüde.“
„Eher zimperlich. Dem armen J. P. hast du das Herz gebrochen, als du ihm erklärt hast, es werde mit Nora und ihrem Buch nicht klappen.“
„Ich weiß. Er sah aus wie ein Junge, dem gerade ein Welpe unter den Händen weggestorben ist. Aber er hat sein Versprechen gehalten.“
„Er vertraut dir eben. Wenn du sagst, das Buch soll nicht veröffentlicht werden, dann veröffentlicht er das Buch auch nicht. Aber denkst du wirklich, dass es nicht veröffentlicht werden sollte?“
Zach starrte Mary stumm an. Sie war erst achtundzwanzig, aber um einiges klüger als er. Natürlich hatte sie recht. Nora verdiente wenigstens die Chance, ihm ihre Seite der Geschichte zu erzählen.
„Du verdienst eine Gehaltserhöhung. Das werde ich J. P. noch sagen.“
„Wofür denn? Weil ich dir Kaffee bringe?“
„Und weil du mir den Kopf wäschst. Und an einem Sonntag ins Büro kommst, damit wir hier Ordnung schaffen können.“
„Heute ist Ostersonntag. Wir gehören zum gleichen Stamm. Warum soll ich da nicht vorbeikommen und helfen? Außerdem bist du der beste Chef, den ich bisher hatte.“
„Und du bist bisher bei Weitem die beste Assistentin, die ich hatte. Hier.“ Er griff in seine Tasche und zog die Schachtel mit Finleys letztem Geschenk heraus. „Möchtest du die hier gern haben? Das war Finleys letztes Geschenk. Ohrringe, glaube ich.“
Mary öffnete die Schachtel und brach in lautes Lachen aus.
„Was ist?“, fragte Zach.
„Das sind schöne Nippelklemmen, Boss.“
Zach lief rot an. „Nippelklemmen? Das hätte ich wohl wissen sollen.“
„Na ja, sie sehen ja auch eher wie Ohrclips aus“, sagte sie versöhnlich.
„Aber du hast sofort gewusst, was es ist.“ Zach hob fragend die Augenbrauen.
Mary schaute ihn gespielt unschuldig an. „Na ja, ich weiß nicht. Vielleicht gehöre ich ja doch zu denen.“ Sie stand auf und ging zur Tür.
„Du findest also, ich soll Nora anrufen?“, fragte Zach.
Mary drehte sich um. „Ich weiß, dass du Nora anrufen wirst. Aber ich finde, du solltest auch Grace anrufen“, sagte sie, ehe sie das Büro verließ.
Ohne weiter groß nachzudenken, griff er zum Telefon und wählte Noras Festnetznummer, aber niemand ging ran. Dann rief er sie auf dem Handy an, doch da sprang sofort die Mailbox an. Schließlich schickte er ihr noch eine E-Mail, in der einfach stand:
Rufst du mich bitte an?
Sofort bekam er eine automatisch generierte Antwort:
An alle, die es betrifft: Klappe halten! Ich bin beschäftigt
.
Er seufzte und gab es auf. Er konnte sich schon denken, womit sie so beschäftigt war. Selbst am Ostersonntag, einem Tag, der ihm nichts bedeutete, aber von dem er wusste, dass er den Katholiken sehr wichtig war, arbeitete sie offensichtlich hart in ihrem anderen Job.
Er hatte versucht, sie zu erreichen. Es sollte wohl einfach nicht sein. Er dachte über das nach, was Mary gesagt hatte. Dass er Grace anrufen solle. Er nahm den Hörer wieder in die Hand, starrte eine Weile ins Leere und legte dann wieder auf.
Er seufzte, denn er wusste, dass er ihr in die Falle gegangen war. Ihn amüsierte der Gedanke, dass Caroline offensichtlich noch immer glaubte, sie könne seine Wahl der Lektüre beeinflussen, obwohl er doch sonst jeden Teil ihres Lebens kontrollierte. Ihre milde weibliche Missbilligung übertrumpfte jeden Akt der Unterwerfung, den er vollbringen konnte
.
„In meinem Bemühen, der dominante Partner in unserer Beziehung zu bleiben, betrachte einfach den folgenden Schritt als einen Präventivschlag: Ich werde dir die Erlaubnis geben, mein Buch zu kritisieren“, sagte William zu Caroline. Sie kniete vor ihm am Boden
.
„Schon wieder Camus? Er ist so öde und melancholisch“, neckte Caroline ihn. „Du kannst doch nicht wirklich glauben, dass es edel ist,
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