Das Locken der Sirene (German Edition)
‚Prinzessin‘ genannt wurde.“
„Wie Prinzessin Grace?“
„Ja. Ich wurde nach ihr benannt. Das ist ein übler Scherz, ich weiß. Meine Eltern verbrachten ihre Flitterwochen in Calais. Darum heiße ich Grace Calais. Prinzessin Grace und Grace Kelly – verrückt.“
„Ihr zweiter Vorname lautet Calais?“ Eine Erinnerung stieg in Nora auf wie ein Gesicht, an das sie sich nach einem düsteren Traum wieder erinnerte. Sie stand auf und trat zu Grace ans Fenster.
„Wie findet man das richtige Safewort?“
„Such dir eins aus. Es kann alles Mögliche sein – die Straße, in der du aufgewachsen bist, dein Lieblingsessen, der zweite Vorname der längst verlorenen Jugendliebe …“
„Ich habe Sie belogen, Grace“, sagte Nora schließlich. Sie wartete, bis Grace sie anschaute. Erst dann legte sie die Hand auf Graces Arm. Grace legte ihrerseits die Hand auf Noras. „Er war letzte Nacht überhaupt nicht bei mir.“
Lange nachdem Grace gegangen war, saß Nora noch am Küchentisch und starrte so lange ins Leere, bis ihre Augen feucht wurden.
Wesley und Zach – beide Männer hatte sie ohne ihr Zutun verloren. Zach würde sich von ihr abwenden, und von Wesley hatte sie sich bereits abgewandt. Mit nahezu unausweichlicher Wucht kam ihr eine Erkenntnis, die nur der neue Tag nach einer langen Nacht mit sich bringen konnte. Sie erhob sich und kehrte in ihr Schlafzimmer zurück. Sie riss die Schranktüren auf und schob die Kleiderbügel beiseite. An der Rückwand des Schranks war ein Nagel eingeschlagen, an dem ein Rosenkranz mit tiefroten Perlen hing. Zwischen den Perlen war ein winziger Schlüssel, direkt neben dem Kruzifix.
Sie nahm den Schlüssel und ging in die Knie. Aus der hintersten Ecke des Schranks holte sie ein Holzkästchen, das ungefähr die Größe einer kleinen Bibel hatte. Mit bebenden Händen öffnete sie das Kästchen und nahm von dem Bett aus blutrotem Samt das weiße Lederhalsband, das sie einst an Søren gebunden hatte. Sie hatte das Halsband seit fünf Jahren nicht mehr getragen.
Nora erhob sich und ließ den Schlüssel im Schloss stecken und das Kästchen auf dem Fußboden vor dem Schrank stehen. Sie hinterließ keine Nachricht für Wesley und ließ alle Lichter brennen. Sie warf sich den Mantel über, fand die Autoschlüssel und nahm nichts mit außer ihrem Halsband. In halsbrecherischem Tempo fuhr sie aus der Einfahrt. Nicht ein Mal kam ihr der Gedanke zurückzuschauen.
34. KAPITEL
Z ach hatte schon davon gehört, dass man mit einem offenen Auge schlafen konnte, aber bisher hatte er nicht gewusst, dass man so auch träumen konnte. Doch nachdem er zwei Stunden gewartet hatte – zwei Stunden, in denen er den Eingang zum Hotel nicht aus den Augen ließ –, wusste er, dass sein Verstand schlafen musste. Und als Grace schließlich hereinkam, ihn sah und lächelte, als hätten sich die vergangenen zwei Jahre dieser kalten und stillen Hölle in Luft aufgelöst, da wusste er, dass es nur ein Traum sein konnte.
Er stand auf und schob die Hände in die Taschen, weil er fürchtete, er würde Grace sonst sofort an sich reißen.
„Hallo“, sagte er, weil er nicht wusste, was er sagen sollte.
„Hallo.“ Es war Grace. Ihre Stimme, eindeutig sie.
„Ich habe auf dich gewartet.“
„Das sehe ich. Ich hab versucht, dich anzurufen. Mehrmals. Als ich nichts von dir gehört habe, hab ich Mr Bonner angerufen. Ich habe behauptet, es sei ein Notfall. Er nannte mir …“
„Er hat dich zu Nora geschickt, nicht wahr?“
„Sei bitte nicht böse auf ihn.“
„Das bin ich nicht. Du bist also Nora begegnet?“
Grace nickte und riskierte ein Lächeln. „Ich habe mit ihr Tee getrunken. Wir haben geredet.“
Zach fürchtete sich vor der nächsten Frage, doch viel mehr fürchtete er sich, sie nicht zu stellen. „Was hat sie gesagt?“
„Sie meinte, ich solle dich George nennen.“
„Das klingt ganz nach ihr. Gracie, ich …“
„Was Nora betrifft“, schnitt sie ihm das Wort ab, „glaube ich, dass sie die einzige Frau der Welt ist, die ich dir verzeihen kann.“
„Ein Wort von dir“, sagte Zach, „und sie wird die einzige Frau auf der Welt sein, die du mir verzeihen musst.“
Grace lächelte. Doch das Lächeln zerschellte, als sie sich ihm in die Arme warf. Er hielt sie an sich gedrückt und presste die Lippen in ihr Haar. Sie sagte nichts, und das war für ihn okay. Das Gewicht ihres schlanken Körpers an seinem, ihr Kopf an seiner Brust – das gab ihm mehr Sicherheit, als alle Worte
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