Das Locken der Sirene (German Edition)
zufügen, aber keinen Schaden?“, fragte Zach. „Wo liegt denn da der Unterschied?“
„Schmerz ist eine äußere Verletzung.“ Elegant nippte Nora an ihrem Mineralwasser. „Schaden hingegen ist eine innere Verletzung. Wenn du ein Masochist bist, fühlt sich der Schmerz für dich an wie Liebe. Am meisten kann man einem Masochisten wehtun, wenn man ihm keine Schmerzen zufügt.“
„Bist du Masochistin?“, fragte Zach, weil ihn das Thema gegen seinen Willen faszinierte.
„Nicht genau.“ Noras Lächeln wirkte fast schüchtern. „Nicht jeder, der SM praktiziert, ist tatsächlich ein Sadist oder Masochist – zumindest nicht nach der pathologischen Definition. Als ich mit Søren zusammen war, liebte ich es, mich dem Schmerz zu unterwerfen. Mir gefiel daran allerdings die Unterwerfung, nicht der Schmerz. Es gibt hier unten ein paar richtige Masochisten, falls du mal einen kennenlernen willst. Aber ich warne dich: Sie können genauso gefährlich sein wie die Sadisten.“
„Ich hab’s kapiert. Du machst auf mich nicht den Eindruck, so zu sein wie diese Leute da unten.“ Zach nickte zu der Balustrade, von der aus man nach unten sehen konnte.
„Diese Leute
da unten sind Ärzte, Rechtsanwälte, Broker, Politiker, was auch immer. Wenn ich nicht wie sie bin, dann allein deshalb, weil ich keinen richtigen Job habe. Und nur damit du es weißt, ich habe in dem Höllenloch da unten lange genug mitgespielt. Es ist manchmal das reinste Sodom und Gomorrha. Heute ist Montag, darum geht’s etwas braver zu.“
„Du sprichst vom ‚Spielen‘, als wäre es tatsächlich nur ein Spiel. Aber da unten wird Leuten wirklich wehgetan, Nora.“
„Ich habe nur eine Antwort für dich, mein aufrechter englischer Lektor: Rugby.“
Zach verzog das Gesicht. Rugby – die Sportart war genauso brutal wie American Football. Nur mit dem Unterschied, dass die Spieler beim Rugby keinen Körperschutz trugen.
„Viele Leute glauben, wir sind verrückt, Zach. Einige glauben sogar, wir sind böse. Aber ich bin ein Switcher – ich habe also beide Seiten der Peitsche erlebt. Ich weiß, du kannst dir das nicht vorstellen, aber für viele von uns ist SM der Inbegriff der Liebe. Wenn Søren mich schlug, tat er es, weil er mich liebte. Weil wir so einander unsere Liebe zeigen konnten.“
„Er klingt beängstigend.“
„Beängstigend ist so ziemlich das Letzte, was Søren ist. Gefährlich, ja. Da stimme ich dir zu. Aber SM ist nur dann gefährlich, wenn du dich mit jemandem auf dein Spiel einlässt, dem du nicht vertraust. Oder wenn du dein Safewort vergisst.“ Sie verstummte, blickte zur Decke auf und lächelte. Er glaubte in ihren Augen eine Erinnerung an etwas aufblitzen zu sehen, das sie erlebt hatte. „Vertrau mir, Zach. Was du auch tust, du darfst niemals dein Safewort vergessen.“
„Was ist ein Safewort?“
„Das Safewort ist dein letzter Ausweg. Das ist das dunkle Geheimnis von Sadomasochismus – der Submissive hat eigentlich das letzte Wort. Und dein Safewort kann alles sein – ‚Popcorn‘ oder ‚Schleiereule‘ zum Beispiel –, ganz egal. Solange es ein Wort ist, das du in einer Szene normalerweise nicht benutzen würdest. Wenn du der Person, die dich dominiert, mitteilen willst, dass sie sofort damit aufhören soll, ist es vorbei, sobald du das Wort sagst.“
„Man kann nicht einfach ‚Stopp!‘ rufen?“
„Viele Submissive genießen das Gefühl, überwältigt und wirklich dominiert zu werden. Gott allein weiß, wie sehr ich das genossen habe. ‚Stopp‘ bedeutet im SM einfach nicht ‚Hör auf‘, es ist bloß Teil der Szene. Man sollte sich hier unten ein Safewort zulegen. Alle haben eines. Natürlich außer Søren.“
„Warum ist er die Ausnahme?“
Noras Mund verzog sich zu einem Grinsen. „Weil Søren nicht beherrscht wird. Na los, such dir eins aus. Es kann alles Mögliche sein – die Straße, in der du aufgewachsen bist, dein Lieblingsessen, der zweite Vorname der längst verlorenen Jugendliebe. Fällt dir etwas ein?“
„Klar, meinetwegen“, sagte Zach. Er wählte das erste Wort, das ihm in den Sinn kam. „Calais.“
„Du meinst die Stadt in Frankreich?“
„Oui.“
„Bien
. Ich werde es mir merken. Wenn ich dich zu hart rannehme und du wirklich aus der Situation rausmöchtest, sag das Wort, und es hört sofort auf. Zu sagen: ‚Nein, Nora, ich glaube nicht, dass das eine so gute Idee ist‘, funktioniert bei mir nämlich nicht immer.“
„Ich hab’s gemerkt“, meinte Zach und nahm
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