Das Locken der Sirene (German Edition)
einfach unglaublich attraktiv. Nora hatte ihm erzählt, er sei etwa Mitte vierzig. Sein schmales und kantiges Gesicht ließ ihn viel jünger wirken, doch in den eisigen Tiefen seiner Augen schienen Äonen zu schlummern. In seiner Vergangenheit war Zach ab und zu mit den Mitgliedern von Englands ausschweifender Aristokratie in Kontakt gekommen. Aber der Mann in dem schlichten schwarzen Ornat eines Priesters wirkte aristokratischer, gebieterischer und befehlsgewohnter als jeder Baron, jeder Duke und jeder Prinz, dem Zach je begegnet war. Jetzt verstand er. Er stand direkt der Quelle von Noras Ängsten gegenüber. Es würde Zach nicht wundern, wenn selbst Gott sich von diesem Mann einschüchtern ließe.
Søren sprach zuerst. „Würde es dir etwas ausmachen, mich deinem Freund vorzustellen, Eleanor?“
Zach hörte aus seiner Stimme einen ganz leichten Akzent heraus. Eigentlich hatte Zach bei dem Namen „Søren“ einen skandinavischen Einschlag erwartet, und mit dem makellos blonden Haar und den blauen Augen sah Søren auch ziemlich nordisch aus. Aber sein Tonfall war Zach irgendwie vetraut – es handelte sich um einen ganz leichten britischen Akzent.
„Søren?“ Noras Stimme zitterte vor Nervosität. „Das ist Zachary Easton, mein Lektor. Zach? Das ist Søren, mein …“
„Priester
ist, glaube ich, das Wort, nach dem Eleanor sucht. Sie sind ihr Lektor, Mr Easton, daher ist es vermutlich Ihre Aufgabe, ihr bei der Suche nach den richtigen Worten zu helfen? Ich sehe gar keinen roten Stift bei Ihnen. Sind Sie heute Abend also nicht im Dienst?“
„Nora bat mich lediglich um Hilfe bei der Recherche für ihr Buch.“ Zach spürte, dass Søren ihn abschätzte, und er hatte den Eindruck, es sei ziemlich egal, was er sagte oder tat – er würde in jedem Fall als ungenügend empfunden.
„Recherche?“ Das Wort schien den anderen Mann zu amüsieren. Nora stand ganz still neben Zach; ihre Haut war gerötet, und sie hielt die Reitgerte so fest in den Händen, dass die Knöchel weiß hervortraten. „Ja, das ist richtig. Bei ihrer Recherche ist Eleanor sehr gründlich. Eleanor, würde es dir was ausmachen? Ich möchte mit dir unter vier Augen sprechen.“
„Eigentlich wollten wir gerade gehen.“ Zach machte einen Schritt nach vorn und stellte sich zwischen Nora und Søren.
Søren hob das Kinn und blickte Zach mit distanzierter und zugleich amüsierter Miene an. Als er das weiße Tuch an Zachs Ärmel bemerkte, hob er belustigt die Augenbrauen. Zach starrte im Gegenzug auf den weißen Kragen um Sørens Hals, ehe er den Blick trotzig erwiderte. Aber Søren schien gänzlich unbeeindruckt zu sein. Er wirkte weder peinlich berührt noch schuldbewusst; er schien sich nicht im Geringsten für das zu schämen, was er war und tat. Langsam hob Søren eine Hand an Noras Ohr und schnipste mit den Fingern. Nora zuckte unter dem Geräusch zusammen. Søren zeigte neben sich auf den Boden, und sie machte einen Schritt nach vorn und blieb dort stehen, wohin er gezeigt hatte. Zach wollte sie am liebsten zurückreißen und mit ihr so weit und schnell wie möglich vor diesem Mann davonlaufen. Aber Nora erwiderte für einen winzig kurzen Augenblick seinen Blick, und er sah in ihren Augen jemanden, den er in ihr bisher nie gesehen hatte. „Niemand hat Nora Sutherlin im Griff“, hatte J. P. gesagt. Zach hatte ihm fast geglaubt. Jetzt aber wusste er, dass er dem einzigen Mann gegenüberstand, dem dieses Kunststück mühelos gelang.
„Hausregeln“, sagte sie entschuldigend. Ihr Lächeln war etwas zittrig.
Søren neigte den Kopf majestätisch und machte einen Schritt nach vorn.
Sie verschwanden durch eine schwarze Tür am Ende der Bar. Søren hielt für Nora die Tür auf. Als sie an ihm vorbeiging, packte er sie am Nacken. Zach machte einen Schritt nach vorn, aber Griffin hielt ihn zurück.
„Denk nicht mal daran, Alter“, warnte Griffin ihn. „Ich bin auch nicht sein größter Fan, aber wenn du hier unten auftauchst, musst du dich den Regeln beugen und den Gebieter respektieren.“
„Geht es ihr gut?“, fragte Zach. Er fürchtete um Noras Sicherheit, aber in dieser merkwürdigen Zwischenwelt fühlte er sich nicht in der Lage, ihr zu helfen.
„Ihr wird nichts passieren. Er wird ihr nicht wehtun.“
„Bist du dir da sicher?“
Griffin schaute zu der Tür, die sich in diesem Augenblick hinter Nora schloss. Dann drehte er sich wieder zu Zach um.
„Nein.“
Nora versuchte ruhig zu bleiben. Søren führte sie zu dem
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