Das Locken der Sirene (German Edition)
ihr blind in den Abgrund ziehen. Es dauerte einige Sekunden, ehe sich seine Augen an das Dunkel gewöhnt hatten. Er machte unwillkürlich einen Schritt nach hinten, als er erkannte, dass er auf der obersten Stufe einer steilen Treppe stand. Nora aber ging vor und stieg die Stufen herunter. Er hatte keine andere Wahl, als ihr zu folgen.
Er spürte die Musik, ehe er sie hörte. Sie hämmerte in seiner Brust. Eine pochende, emotionale Sinfonie der Gewalt. Nora stieg die Treppe herunter, und er musste ihr wohl oder übel vertrauen, denn er konnte kaum seine eigenen Füße sehen. Sie hatten die Hälfte der Treppe hinter sich, da brach ein ohrenbetäubender Lärm aus, als die Menschenmenge Nora erkannte. Und als sie den Fuß der Treppe erreichten, hatte sich bereits ein Durcheinander aus fast nackten Körpern eingefunden, die sich zu Noras Füßen auf den Boden warfen. Sie ging achtlos an ihnen vorbei, trat nach einigen Körpern und schob andere herablassend mit ihrer Reitgerte beiseite, als wollte sie sie eigentlich wie Fliegen zerquetschten. Je grausamer sie mit ihnen umging, desto mehr katzbuckelten sie vor ihr.
Zach schaute sich interessiert um. Er sah Dinge, die seine Augen aufnahmen, sein Verstand aber nicht verarbeiten konnte. Über seinem Kopf baumelten Körper in Geschirren von der Decke. Ein Mann wurde an ihm vorbeigeschleift und an ein Andreaskreuz gefesselt. Einige Leute umstanden ihn, gekleidet in schwarzes Leder oder Lack, und wechselten sich damit ab, ihn auszupeitschen. Eine nackte Frau war mit ausgestreckten Armen und Beinen auf ein großes, sich drehendes Rad gebunden. Sie wurde geschlagen, während sich das Rad beständig drehte. Eine andere Frau war mit zwei Spreizstangen an Händen und Füßen gefesselt und bot ihre Dienste einem Mann an, der bis auf den Teil von ihm, der in ihrem Mund steckte, von Kopf bis Fuß in einem Lackanzug steckte.
In dieser nassen roten Hölle bewegte Nora sich voran, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken oder das Gesicht zu verziehen. Sie schwebte leicht und beschwingt durch dieses schwarze Gewässer. Ihre Augen strahlten wie brennende Flaggen.
Sie zog ihn durch die Menge ihrer Bewunderer auf einen offenen, aus Schmiedeeisen gefertigten Lift zu, der sich auf der anderen Seite des Parketts befand. Der Aufzug wurde von einem Mann bewacht, der ungefähr die Größe eines Hauses hatte und Chaps und ein mit Dornen bewehrtes Hundehalsband trug. Nora ließ beiläufig die Gerte von der rechten in die linke Hand gleiten und versetzte dem Mann mit der freien Hand eine so heftige Ohrfeige, dass Zach zusammenzuckte.
Zach machte einen Schritt vor. Er war bereit, die Vergeltung des Mannes auf sich zu nehmen. Doch der lächelte bloß, verbeugte sich vor Nora und trat einen Schritt beiseite.
Nora betrat den Aufzug, und Zach folgte ihr.
„Was, zum Teufel, war das denn?“, wollte Zach wissen.
„Das Passwort“, sagte sie über die Schulter.
Die Türen des Aufzugs schlossen sich nicht, als er langsam nach oben glitt. Zach drängte sich an die Rückwand, weil er um seine Sicherheit fürchtete. Nora jedoch stand ganz vorn und warf der heulenden und jubelnden Menge eine Kusshand zu.
Der Aufzug brachte sie drei Stockwerke nach oben in eine altertümliche Bar. Die Tische waren aus schwarzem Lack, und in der Mitte standen blassgelbe Kerzen, die entzündet waren und ihr tropfendes Wachs über die schimmernde Oberfläche verteilten. Hinter der Bar hing ein riesiger Spiegel, und in den Regalen stand jede nur erdenkliche Form von Alkohol, die man sich wünschen konnte. Das Lärmen der Menge war hier oben noch immer zu hören, doch war es zu einem Flüstern gedämpft. Ein Teil der Bar war offen wie ein Balkon, von dem aus man das Chaos beobachten konnte, das weiter unten tobte.
Nora führte ihn zu einem Tisch, der so ziemlich in der Mitte der Bar stand. Sie blieb neben ihrem Stuhl stehen und wartete. Sekunden später tauchte ein junger Mann mit dunklen Augen und schön definierten Muskeln hinter Nora auf und zog den Stuhl für sie nach hinten. Er trug nur eine tief sitzende Lederhose.
„Setz dich, Mistress“, sagte er. „Wenn es dir gefällt.“
Nora lachte und drehte sich auf dem Stuhl zu ihm um. Er kniete sich neben ihre Füße und wartete lächelnd.
„Griffin Randolf Fiske“, sagte sie und schien hocherfreut, ihn zu sehen. Sie schob die Spitze ihrer Gerte unter sein Kinn und zwang ihn, ihr in die Augen zu blicken. „Was, zum Teufel, machst du da unten, du dreckiger kleiner
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