Das Luxemburg-Komplott
ausgestrecktem Arm drückte er vorsichtig gegen das Brett, das den Schacht über der Luke abdeckte, es war morsch. Es wäre leicht, es aufzubrechen. Aber es nutzte nichts, durch die Luke konnte niemand kriechen. Er tastete den Rand der Luke ab. Der Mörtel in den Randsteinfugen schien mürbe. Mit einem Werkzeug würde es ihm vielleicht gelingen, ihn herauszukratzen und Steine wegzubrechen. Er kletterte vom Haufen herunter und tastete den Boden ab.
»Was machen Sie da?« fragte Jogiches.
»Ich suche ein Werkzeug, irgend etwas, mit dem ich kratzen kann.«
Er rutschte auf den Knien über den schwarzstaubigen Boden. Er hustete. Dann ertasteten seine Hände etwas Hartes und Spitzes, einen Nagel, groß und rostig. Er nahm den Nagel und kletterte wieder auf den Kohlehaufen. Als er endlich an der Luke war, begann er in einer Fuge zu kratzen. Mörtel staubte. Er hustete wieder. Aber er kratzte immer weiter, auch als die Hände zu bluten anfingen. Die Schmerzen waren teuflisch, aber er kratzte um sein Leben und für Rosa und Jogiches. Er drückte gegen den ersten Randstein, der gab nach und fiel auf Zacharias’ Knie. Er stöhnte auf, dann suchte er die nächste Fuge. Er hatte kein Gefühl für die Zeit, die er brauchte, bis sich auch der zweite Stein lockerte. Gleich begann er, einen dritten Stein zu lösen. Er arbeite ohne Pause, manchmal schnaufte er wegen der Schmerzen. Einmal nur unterbrach er das Kratzen, als er seinen Hemdsärmel abriss und ihn um die rechte Hand wickelte. Er öffnete und schloss die Hand mehrmals, dann kratzte er weiter. Endlich landete auch dieser Stein auf den Kohlen.
Zacharias kroch in den Schacht, in dem er gekrümmt knien konnte, aber mit dem Kopf an den Holzdeckel stieß. Er steckte den Nagel zwischen zwei Bretter und hebelte eines locker. Es dauerte eine Weile, und er wartete darauf, dass jemand draußen es merkte und ihn stellte. Aber es kam niemand. Nachdem er das eine Brett herausgebrochen hatte, tastete er mit der Hand oben über das andere Brett, bis er ein Vorhängeschloss fand. Nun hebelte er das Brett aus, an dem das Vorhängeschloss befestigt war. Das dauerte nur wenige Minuten, dann konnte er die Klappe vorsichtig nach oben drücken. Er schaute sich um, es war ein Garten mit Büschen, Beeten und Bäumen. Er sah niemanden. Dann schloss er den Deckel und kletterte zurück in den Keller.
»Wir können fliehen«, sagte er.
Rosa schaute ihn traurig an. Jogiches hatte sein Gesicht abgewendet.
»Sie werden fliehen«, sagte sie. »Sebastian. Wir bleiben.«
»Nein«, sagte Zacharias. »Die bringen Sie um. Das ist verrückt.«
»Verrückt war, was wir versucht haben. Wie es besser gehen könnte, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass ich die größte Niederlage des deutschen Proletariats verschuldet habe.«
*
Er hatte die Schritte nicht gehört, zu tief versunken war er in seiner Erinnerung.
»Mitkommen«, sagte der Wärter.
Im Vernehmungszimmer wartete Leutnant Sokolnikow. »Nun?« sagte er.
»Ich werden Ihnen berichten, was geschehen ist.« Er erzählte von Anfang an, und Sokolnikow hörte zu, schrieb hin und wieder etwas auf, nickte mal, schüttelte an einigen Stellen den Kopf, aber er unterbrach Zacharias nicht. Jedenfalls nicht, bis der die Geschehnisse im Keller schilderte.
»Die Luxemburg wollte nicht fliehen?«
»Nein. Ich habe versucht, sie und Jogiches zu überzeugen. Aber es war aussichtslos. Sie wollten sterben. Vielleicht fürchteten sie, von einer Oper in die nächste zu geraten. Sie waren es müde.«
»Unglaublich«, sagte der Leutnant, aber er schien Zacharias doch zu glauben. »Und diese Generale haben tatsächlich gesagt, die Bolschewiki seien deutsche Agenten?«
»So haben sie es nicht gesagt, aber ähnlich.«
»Aber ähnlich«, wiederholte Sokolnikow leise. »Aber ähnlich.«
Zacharias erinnerte sich, wie Rosa ihn in den Arm nahm, bevor er floh. »Pass auf dich auf, Sebastian«, sagte sie.
Er kroch auf den Kohlehaufen, hob den Deckel, stützte sich aus dem Schacht und robbte in den Garten. Licht fiel aus den Fenstern, in manchen erkannte er Umrisse von Männern. Dann stieß er auf einen Zaun. Er kroch an ihm entlang, bis er eine Lücke entdeckte, die nach draußen führte. Dann fand er einen Weg durch eine Wohnsiedlung.
»Und Sie konnten einfach fliehen. Gab es keine Wachen?«
»Doch, aber sie haben wohl nicht damit gerechnet, dass jemand die Luke vergrößern würde. Und so waren sie nicht aufmerksam genug.«
Sokolnikow schüttelte wieder den
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