Das Luxemburg-Komplott
Kopf.
»Ich stieß auf Gleise und folgte ihnen auf gut Glück. Und ich hatte Glück, die Gleise führten nach Norden. Tagsüber versteckte ich mich, nachts lief ich.«
»Aber Sie mussten essen und trinken.«
»Das habe ich gestohlen bei Bauern. Einmal hätte mich einer fast erschossen.«
»Und dann?«
»Dann kam plötzlich ein Zug. Er fuhr dorthin, wo ich herkam. Ich versteckte mich im Gebüsch und sah, es waren Milizionäre in den Wagen. Der Zug hielt, die Milizionäre stiegen aus und stellten Stoßtrupps zusammen. Später erfuhr ich, sie wollten erkunden, ob sie die Oberste Heeresleitung überraschen könnten. Ich wäre fast erschossen worden, als ich aus dem Gebüsch trat. Aber dann erzählte ich ihnen, was geschehen war und dass Rosa und Jogiches gefangen waren. Das machte sie wütend. Sie ließen sich den Weg beschreiben, dann brachten sie mich in einen Wagen, gaben mir zu essen und zu trinken und befahlen mir zu warten. Irgendwann bin ich eingeschlafen. Dann rumpelte der Zug, und ich wachte auf. Neben mir saß ein Verwundeter. Er weinte. ›Nur vier Mann haben es überlebt. Es war umsonst, Luxemburg und Jogiches waren schon tot, erschossen, standrechtlich.‹«
Sie schwiegen eine Weile. Dann sagte Sokolnikow: »Und dann sind Sie nach Hamburg gefahren.«
»Der Zug brachte mich dorthin. Und im Hafen lag ein Frachter aus Petrograd …«
»Leningrad«, sagte der Leutnant.
»Damals hieß es Petrograd. Also dieser Frachter hatte Weizen nach Deutschland gebracht, und ich bin einfach hin, habe mich als Mitarbeiter der Tscheka ausgegeben. Ich sei in großer Not und müsse sofort zurück nach Moskau, der Genosse Dserschinski persönlich erwarte mich.«
»Und der Kapitän hat Sie einfach mitgenommen? Wie hieß der? Wir werden das herausbekommen! Der hat einen Agenten eingeschmuggelt, das wird er bezahlen.« Sokolnikow war wütend, und der Jagdeifer fieberte in seinen Augen.
Zacharias erschrak. »Der Kapitän hat seine Pflicht getan. Er hat mich dem Beauftragten der Tscheka an Bord übergeben. Der hatte mich schon einmal gesehen im Dienst, und er sperrte mich in eine Kabine. In Petrograd wurde ich dann verhaftet und nach Moskau gebracht. Sie haben versucht, mich zum Verräter zu stempeln, aber ich habe immer nach dem Genossen Dserschinski verlangt, nach Lenin auch, aber der war schon zu krank. Plötzlich tauchte der Genosse Dserschinski in meiner Zelle auf, hier in der Lubjanka.
›Da sind Sie ja wieder. Tut mir leid, die Genossen sind manchmal übereifrig. Aber besser so als zu lasch.‹
Der Genosse Dserschinski befreite mich aus der Haft, ließ mich einen Bericht schreiben und holte mich zurück zur Tscheka, wo ich seitdem Dienst tat.«
»Es ist Ihnen sogar gelungen, den Genossen Dserschinski zu täuschen. Ihren Bericht haben wir geprüft, er ist falsch. Sie verleugnen, dass es Ihre Aufgabe war, auf die Genossin Luxemburg aufzupassen. Aber Sie haben sie dem Feind ausgeliefert.«
» Genossin Luxemburg?«
»Ja, ihre Ideen sind antisowjetisch. Aber sie ist ein Opfer der Reaktion. Und diese Opfer halten wir in Ehren.«
»Aber ich sollte sie umbringen. Das haben nun andere getan.«
»Das ist doch abwegig. Niemand von uns wollte die Genossin Luxemburg umbringen. Lenin sagte, sie sei ein Adler gewesen. Adler tötet man nicht, man bewundert sie. Und selbst wenn Sie diesen Auftrag aus irgendeinem Grund bekommen haben sollten, Sie hätten ihn nicht erfüllt. Sie haben dem Feind diesen Triumph verschafft. Und Sie behaupten Dinge, die der Sowjetunion großen Schaden zufügen würden.«
Jetzt begriff Zacharias, warum sie ihn töten mussten.
Personen der Zeitgeschichte
Barth, Emil (1879–1941)
Klempner; Funktionär des Metallarbeiterverbands, im Krieg einer der Führer der Gruppe der Revolutionären Obleute. 1917 Mitglied der USPD, 1918 Mitglied des Rats der Volksbeauftragten, 1921 Übertritt zur SPD.
Bebel, August (1840–1913)
Drechsler; Bebel ist zusammen mit Wilhelm Liebknecht der Gründer und Führer der deutschen Vorkriegssozialdemokratie. Unter seinem Vorsitz übersteht die SPD die Verfolgung in der Zeit der Sozialistengesetze (1878– 1890) und wird zur stärksten Partei Deutschlands und der internationalen Arbeiterbewegung. Bebel zählt auch zu den Führern der Zweiten Internationale, die mit dem Kriegsausbruch 1914 praktisch zusammenbricht. Bebel ist wohl der beliebteste Führer der deutschen Arbeiterbewegung (»Arbeiterkaiser«). Sein bekanntestes Werk, immer wieder in hohen Auflagen
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