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Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Marschner
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werden. Einmal zeigte er ihr eine Liste mit den Namen der Frauen, die er in seiner Jugend verführt hatte. Ja, so einer war er damals gewesen, und das war aus ihm geworden!
    In der folgenden Nacht konnte ihn Marianne gerade noch von der Fensterbank herunterreißen, auf die er geklettert war, um sich auf den Gehsteig hinabzustürzen. Als er danach weinend auf dem Bett lag, schoss ihr der Gedanke durch den Kopf, dass es vielleicht für alle besser gewesen wäre, hätte sie nicht eingegriffen.
    Jedes Mal, wenn Friedrich Wieck nach Berlin kam, dachte er immer wieder an Marianne. Er kannte ihre Adresse und mietetesich wie zufällig in einem Hotel in der Nähe ein. Mehrmals ging er an dem Gebäude vorbei, in dem sie wohnte: ein ehemaliges Bürgerhaus, das aus der Ferne fast elegant wirkte. Erst wenn man davor stand, bemerkte man den bröckelnden Putz und die Sprünge in den Fensterscheiben. Auch auf dieser Tournee würde er wieder nach Berlin kommen, diesmal mit Clara, die schon oft davon gesprochen hatte, ihre Mutter besuchen zu wollen. Friedrich Wieck wusste, dass sich Clara nach Marianne sehnte. Clementine war nie ein Mutterersatz gewesen.
    Es war eine Schwäche der menschlichen Natur, dachte Friedrich Wieck, dass man immer wieder Personen an sich heranließ, die nicht gut für einen waren. Auch beim Umgang mit anderen – wie beim Aufbau einer Karriere – sollte der Egoismus an erster Stelle stehen. Sympathie und Liebe waren nichts als Launen, denen man nicht nachgeben sollte. So verhielt es sich mit Marianne, und so war es auch bei Robert Schumann. Friedrich Wieck und Clara Wieck sollten klug sein wie die Schlangen und keinen in ihr Leben lassen, der ihnen schaden konnte.
    »Darf ich Mama besuchen, wenn wir in Berlin sind?«, fragte Clara wieder einmal, und Friedrich Wieck antwortete ihr, diesmal werde dafür wahrscheinlich keine Zeit sein. Berlin werde den Höhepunkt der Tournee darstellen. »Glaube mir, Clärchen, du wirst es genießen!«
    »Und Mama?«
    »Beim nächsten Mal vielleicht.«
    Es kam zu keinem Besuch bei Marianne. Friedrich Wieck sorgte dafür, dass Clara keinen Augenblick Ruhe fand. Auch in Berlin folgte ein Konzert auf das andere, eine private Einladung auf die nächste, und immer stand Clara im Mittelpunkt. Alle Welt schien sich für sie zu interessieren. Sie war nicht mehr das Wunderkind, das man von ferne bestaunte, sondern auf einmal eine gut aussehende junge Frau, mit der man ins Gespräch kommen konnte, die Komplimenten nicht abgeneigt war und sich nicht ungern auf amüsante kleine Wortgefechte einließ.
    Friedrich Wieck sah es mit Genugtuung. Eine Clara, die sich des Lebens freute, war daheim in Leipzig vielleicht immun gegen die melancholischen Blicke eines gewissen Herrn Schwärmerers. Ein junges Mädchen, das die Leichtigkeit des Großstadtlebens schätzen gelernt hatte, würde sich kaum noch geehrt fühlen, wenn es von ein paar provinziellen Brauseköpfen eingeladen wurde, deren Davidsbund nach dem Urteil von Friedrich Wieck ja doch nicht mehr war als ein Künstlerstammtisch, eine gesellige Runde, die sich selbst wichtiger nahm, als sie war; die sich mit fantastischen Bündnisnamen schmückte und glaubte, eine bedeutende Künstlerbruderschaft zu sein, eine »verborgene Gesellschaft«, wie es sie inzwischen ja wohl in vielen größeren Städten gab, wo sich Romantiker zusammenfanden und davon träumten, etwas Besonderes zu sein.
    Auch Friedrich Wieck selbst hatte mehrmals an den Treffen der Davidsbündler teilgenommen. Inzwischen aber war er dessen müde geworden. Außerdem befand er sich ja fast ständig auf Reisen. Dazu kam noch, dass er keine Lust hatte, Robert Schumann zu treffen, der so gut wie jeden Abend im »Kaffeebaum« verbrachte – immer am Ende des Tisches sitzend, damit er genug Platz hatte, den Kopf auf den Arm zu stützen. Dabei fielen ihm die Haare in die Stirn, als wollte er sich vor der Welt verstecken – oder die Welt vor sich.
    Unter den Davidsbündlern gab es einen gewissen Carl Banck, einen Liederkomponisten, der auch für Robert Schumanns Zeitschrift Kritiken verfasste. Mausgraue Kritiken, wie Robert Schumann zuweilen beklagte: immer ein wenig zu verständnisvoll und zu nachsichtig. »Wir sind keine Pantoffelzeitung wie die ›Allgemeine‹«, rügte Robert Schumann in ungewohnt strengem Ton. »Es besteht kein Grund für uns, ein paar genialitätsfreche Nichtskönner zu ermutigen. Schlechte Musik bleibt schlechte Musik. Wer, wenn nicht wir, soll gegen das gemachte

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