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Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Marschner
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schneller schlagen lassen. Zögernd erwiderte sie dieses Lächeln, dann schüttelte sie fast ungläubig den Kopf und lachte, als hätte man ihr die Welt geschenkt. Sie dachte, sie müsste sterben vor lauter Glück. Eigentlich hätte sie in diesem Augenblick mindestens noch ihre Doppelgängerin gebraucht, denn so voller Freude konnte ein einzelner Mensch gar nicht sein.
    Chopin wurde ernst. »Ich beneide Sie, Mademoiselle«, gestand er.
    Clara wusste nicht, was er meinte. »Um dieses Konzert?«, fragte sie ungläubig. »Das kann doch nicht sein. Sie, Monsieur, unser aller Vorbild!«
    Chopin schüttelte den Kopf. »Nicht um das Konzert, Mademoiselle. Ich beneide Sie darum, dass Sie sich so freuen können. Freude ohne Traurigkeit – das ist etwas ganz Besonderes. Ein Geschenk Gottes vielleicht sogar.«
    »Sind Sie denn traurig, wenn Sie sich freuen, Monsieur?«
    »Ein wenig vielleicht«, murmelte er.
    Clara drehte sich verlegen zum Klavier und legte schutzsuchend die Hände auf die Tasten. Sie war es nicht gewohnt, dass ein Mensch ihr sein Herz öffnete. Gerade war sie noch ein Kindgewesen, das man in vielem nicht ernst nahm. Sogar bei Robert Schumann, der am meisten von allen auf sie eingegangen war, hatte sie immer wieder das Gefühl gehabt, es gefalle ihm, sie mit seinem geübten Denken zu verblüffen. Hatte er ihr je gezeigt, was ihn wirklich bewegte?
    Ohne es sich vorgenommen zu haben, stimmte sie plötzlich Schumanns »Sonate in fis-Moll« an , die er ihr ein paar Tage zuvor aus Zwickau zugeschickt hatte. »Ich habe immer noch große Schwierigkeiten mit diesem Stück«, gestand sie, und Chopin verstand, was sie meinte.
    Die Anspannung der vergangenen Minuten hatte sich gelöst. Clara fühlte sich ruhig und zufrieden, und Chopin freute sich, als sie ihm erzählte, Robert Schumann habe in seiner Zeitung einen langen Artikel über ihn veröffentlicht. Besonders gut gefiel ihm der Titel: »Hut ab, ihr Herren, ein Genie!«
    Danach wandten sie sich wieder der Sonate zu. Gemeinsam spielten sie vom Blatt und diskutierten sachlich das unveröffentlichte Werk – zwei Kollegen, hätte Friedrich Wieck vielleicht stolz gesagt. Doch es war gut, dass er nicht zugegen war.
    Draußen dämmerte es schon, als Frédéric Chopin das Haus in der Grimmaischen Gasse verließ, unter dem Arm die Noten von Claras Kompositionen. Ein größeres Lob hätte er ihr nicht spenden können, als sie darum zu bitten. »Ihr Werk, Mademoiselle«, hatte er gesagt, als sie ihm die Blätter überreichte, »Ihre Seele, nicht wahr?«
    Clara nickte. »So ist es, Monsieur«, antwortete sie leise. »Darin liegt meine Seele.«
    Sie begleitete ihn hinaus. Am liebsten hätte sie ihn gar nicht fortgelassen. Auch er schien zufrieden mit dem gemeinsamen Nachmittag. Clara wusste, dass sie nie seinen letzten Blick auf sie vergessen würde, freundlich, fast liebevoll. Er weiß, wie ich lebe und was ich empfinde, dachte sie. Nur einer wie er kann mich wirklich verstehen ... Sie weinte fast, als er in seine Kutsche stieg, so schmal und zerbrechlich in seinem engen schwarzen Anzug, und doch, welch seelische Kraft war in ihm! Eine Kraft, starkgenug, ihn zu verzehren. Erst als die Kutsche um die Ecke verschwunden war, fiel Clara ein, dass sie ihrem Gast nicht einmal eine Erfrischung angeboten hatte.
    Fünfzehn Jahre, bald sechzehn. Auf vieles, was für andere selbstverständlich war, hatte Clara verzichtet. Doch nun winkte der Lohn: ein Nachmittag wie dieser und vielleicht bald noch andere, ähnliche Begegnungen, die sie so glücklich machten, dass es wehtat. So viele Stunden hatte sie während der Tournee mit Carl Banck verbracht, aber wenn er ihr aus den Augen war, war er ihr auch aus dem Sinn. Die Begegnung des heutigen Nachmittags aber würde sie niemals vergessen, das wusste sie. So wenige Stunden und doch: so schwer wogen sie und so viel Beglückung und Stolz hatten sie ihr geschenkt!
    Sie hatte noch immer Tränen in den Augen, als ihr Vater nach Hause kam und sich die Haare raufte, weil er den »unglaublichen Besuch« versäumt hatte. »Ich muss mit ihm sprechen!«, rief er außer sich und machte Anstalten, mit wehenden Rockschößen zum »Hôtel de Pologne« zu eilen, weil er meinte, Frédéric Chopin sei dort abgestiegen.
    Clara hatte Mühe, ihn davon zu überzeugen, dass ihr Gast bereits wieder abgereist war. »Dann hat er also nur deinetwegen einen Abstecher nach Leipzig gemacht«, murmelte Friedrich Wieck ungläubig. »Und so viele Stunden hat er sich für

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