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Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Marschner
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dich Zeit genommen!«
    Clara nickte. »Ich habe ihm auch meine Noten gegeben«, sagte sie leise.
    »Hast du sie ihm angeboten, oder hat er sie verlangt?«
    »Ich hätte nicht gewagt, sie ihm aufzudrängen.«
    Friedrich Wieck wurde erst rot und dann ganz blass. »Du meinst, er wollte sie – einfach so?«
    Clara unterdrückte ein Lachen, das zur Hälfte ein Schluchzen war. »Ja, Papa, der große Meister Frédéric Chopin hat Demoiselle Clara Wieck gebeten, ihm die Noten ihrer Werke zu schenken!«
    Friedrich Wieck antwortete nicht mehr. Er legte die Hände aufseine schmerzenden Wangen. Wie ein einsames, ratloses Kind stand er da und starrte seine Tochter an, sein Geschöpf, das Werk seiner Erziehung. Es konnte doch nicht sein, dass sie über ihn hinausgewachsen war!
3
    Ein Kind des Glücks, so nannten viele, die ihn kannten, den jungen Felix Mendelssohn Bartholdy, der im August 1835 in Leipzig eintraf, um die begehrte Position als Direktor des Gewandhausorchesters zu übernehmen. Zu diesem Zeitpunkt war er erst sechsundzwanzig Jahre alt. Wer aber seine Werke aufzählte, seine Ämter oder die Veranstaltungen, die er auf den Weg gebracht hatte, hätte meinen können, von einem alten Menschen mit einem ausgefüllten Leben zu berichten. Er war Musikdirektor in Düsseldorf gewesen und hatte das »Niederrheinische Musikfest« begründet. Mehrere Symphonien hatte er bereits komponiert, Vokalwerke, Kammermusik, einige Solokonzerte und überdies jene »Lieder ohne Worte« für Klavier, die er gleichsam als neue Gattung gemeinsam mit seiner Schwester Fanny ersonnen hatte.
    Felix Mendelssohn stammte aus einer bedeutenden Berliner Bankiersfamilie, die erst vor einigen Jahren vom Judentum zum Protestantismus übergetreten war. Von Anfang an wurden Felix und seine Geschwister von den besten Lehrern unterrichtet und von der Mutter liebevoll, aber konsequent angehalten, ihre Zeit nicht zu vergeuden. Gern erzählte Felix Mendelssohn später davon, dass ihm als Kind nie erlaubt war, einfach nur faul zu sein. »Felix, tust du nichts?«, war ein Satz seiner Mutter, den er nie vergaß, zu oft hatte er ihn gehört. Der zweite Ausspruch, dessen Erinnerung ihn rührte, war: »Ach, Felixchen, wie steht es wieder einmal mit deiner Lockenpracht?« Woraufhin erwartet wurde, dass er sich eilends kämmte.
    Der Klavierlehrer seiner Mutter war einer der letzten Schüler Johann Sebastian Bachs gewesen – Grundlage für die großeBachverehrung im Hause Mendelssohn, auch wenn sich der öffentliche Geschmack inzwischen von Bach abgewendet hatte. Welche Freude daher für die Familie, als es Felix gelang, die »Matthäuspassion« erfolgreich aufzuführen und dem Vergessen zu entreißen!
    Einen »himmlischen, kostbaren Knaben« hatte ihn Goethe genannt, als ihm der zwölfjährige Felix in seinem Haus am Weimarer Frauenplan vorspielte. Etwas von diesem Kind, diesem heiteren Liebling der Götter, bewahrte Felix Mendelssohn sein Leben lang, als befürchte er, nicht allzu lange auf dieser Welt zu bleiben, und zögere deshalb, das Kind in sich freizugeben.
    Ein junger Mann mit einem gesegneten Leben: Die Frage der Mutter »Felix, tust du nichts?« trug wahrlich reiche Früchte. Auch der Musikkenner Friedrich Wieck in der Grimmaischen Gasse konnte zufrieden nicken und urteilen: »Ein Gewinn für uns alle!«, obwohl nicht alles, was Mendelssohn komponierte, Friedrich Wiecks konservativem Geschmack entsprach.
    Von Anfang an erlebte Clara mit, wie Felix Mendelssohn das musikalische und gesellschaftliche Leben in Leipzig beflügelte. Es schien, als gewinne er die Herzen aller: Die Verantwortlichen des Gewandhauses rechneten es ihm hoch an, dass er bereits mehrere Wochen vor seinem eigentlichen Amtsantritt anreiste, um sich frühzeitig einzuarbeiten und sich allgemein bekannt zu machen. Die Honoratioren rühmten sein höfliches, korrektes Auftreten und die dazugehörigen Damen seinen jugendlichen Charme. Die Mitglieder des Orchesters merkten allerdings schon bei den ersten, informellen Proben, dass der hübsche Bursche, den man noch am Vorabend über den Tanzboden wirbeln sah, bei der Arbeit ganz andere, ernste Töne anschlug, keinen falschen Akkord überhörte und keine Unaufmerksamkeit durchgehen ließ.
    Bald schon sprach es sich herum, dass der »Herr Musikdirektor Dr. Mendelssohn« nach seinen unterhaltsamen Abenden allein in sein Haus zurückkehrte und dort noch ein paar einsame Stunden lang für absolut niemanden zu sprechen war. Er sei dabei, ein erhabenes

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