Das Maedchen am Klavier
arme Kind irgendwo auf der Welt in Sicherheit vor diesem Namen zu bringen, habe August Schumann nachgegeben. Trotzdem sei ihm der Name Robert immer suspekt geblieben: zu hübsch für seinen Geschmack, zu gefällig.
Clara lachte erst, dann wurde sie ernst. »Es ist wahr«, stimmte sie zärtlich zu. »Hübsch und gefällig: Man muss diesen Namen einfach lieben.«
»Du liebst ihn, weil du mich liebst.«
»Ich liebe alles, was mit dir zu tun hat.«
Es gab keine Zweifel aneinander und keine Zweifel an der gemeinsamen Liebe. Alles war, wie es sein sollte. Dass Friedrich Wieck gegen diese Verbindung sein würde, schien kein unüberwindliches Hindernis zu sein. Wenn er erst begriffen hatte, dass Robert und Clara ein Liebespaar waren wie jene unsterblichen Paare der Geschichte und der Literatur, würde er einsehen, dass er kein Recht hatte, Nein zu sagen, wo der Himmel selbst sein Ja erklärt hatte.
Noch nie hatte Clara so schön gespielt und noch nie hatte Robert Schumann so viel komponiert. Die langen Stunden des Tages, in denen sie einander nicht sehen konnten, waren erfüllt von den Gedanken aneinander und von dem Wunsch, ihrem außerordentlichen, unfassbaren Gefühl eine ewige Gestalt zu verleihen.
Immer selbstverständlicher wurde es ihnen, dass sie einander täglich trafen, und immer unvorsichtiger wurden sie dabei. Als Clara eines Dezembertags über den Markt eilte, wo heiße Schokolade angeboten wurde und dampfende Krapfen, überzogen mit einer dicken Schicht von Puderzucker, vergaß sie alle Vorsicht und überredete Robert Schumann, sich mit ihr mitten in das lebhafte Marktgetümmel zu stürzen, in die weihnachtlich gestimmte Menschenmenge, die keine Sorgen zu kennen schien und keine bedrückenden Heimlichkeiten.
Wie wundervoll war es, für zwei berauschende Stunden alle Vorsicht zu vergessen, endlich einmal nicht die behütete Pianistin zu sein, die von ihrem Weg nach oben nicht abgebracht werden durfte, und nicht der junge Komponist, der die Welt erobern wollte und sich doch wie ein verängstigtes Kind davor fürchtete, dem eigenen Anspruch nicht genügen zu können. Clara Wieck und Robert Schumann, Clara und Robert, Clärchen und »mein Liebster«!
Für kurze Zeit weinten sie fast vor Glück und vor Liebe, lachten dann wieder und hielten sich an den Händen – trotz der Kälte ohne Handschuhe, weil sie die Wärme des anderen spüren wollten und seine Nähe, die ihnen den Atem nahm. »So wie jetzt müsste es immer sein«, flüsterte Clara, und Robert Schumann verstand jedes Wort, trotz des Stimmengewirrs um sie herum, trotz der Flöten, Trommeln und Schellen und trotz des weihnachtlichen Glockengebimmels. »Niemals werden wir einander verlassen!«, schwor er, und Clara dachte nur an ihn und nicht an ihren Vater, der von alldem nichts wusste.
Bald wusste er es aber doch. Nie erfuhr Clara, ob jemand sie verraten hatte oder ob ihr Vater sie schon längst verdächtigte und deshalb gar beschatten ließ. Auf jeden Fall sah sie am Morgen nach dem Besuch des Weihnachtsmarktes von ihrem Fenster aus, dass Robert Schumann die Straße heraufkam. Sie öffnete das Fenster und rief flüsternd seinen Namen, doch Robert Schumann war zu sehr in Gedanken und hörte sie nicht. Ohne anzuklopfen,verschwand er im Haus. Das Tor musste wohl nur angelehnt gewesen sein, wie es manchmal vorkam, wenn ein Geschäftspartner erwartet wurde.
Clara lief aus ihrem Zimmer und beugte sich über das Treppengeländer. Noch immer meinte sie, ihr Liebster sei gekommen, um sie zu besuchen, auch wenn ihr dies eigentlich unwahrscheinlich erschien, hatten sie doch beschlossen, ihre Liebe vorläufig noch geheim zu halten.
Sie hörte, dass Robert Schumann in den Salon trat, in dem um diese frühe Stunde Friedrich Wieck seine Korrespondenz zu erledigen pflegte. Erst jetzt bekam Clara Angst. Hundert wirre Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Was wollten die beiden voneinander? Hatte Friedrich Wieck den jungen Mann herbestellt, oder hatte jener um eine Unterredung gebeten? Und worum ging es überhaupt? Um einen Artikel in Robert Schumanns Zeitschrift vielleicht, um ein Konzert oder – oh, wie sie sich plötzlich sorgte! – um sie selbst und um ihre Liebe, die, wie sie nur zu gut wusste, von Anfang an in Gefahr gewesen war? Wenn diese Liebe aber der Grund für das Zusammentreffen war, warum redete man dann hinter ihrem Rücken über sie? Warum rief man sie nicht dazu und fragte sie nach ihrer Meinung?
Ganz still war es im Haus. Nicht einmal die
Weitere Kostenlose Bücher