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Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Marschner
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Verzweiflung, gewaltsame Trennungen und tränenreiche Wiederbegegnungen – das gesamte romantische Inventar eben, das die Herzen der jungen Mädchen ihrer Epoche höher schlagen ließ und an dem sie sich berauschten, weil ihrem eigenen Leben durch die Vorsicht der Eltern tragische Erschütterungen zumeist erspart blieben.
    Sofort beschloss man, einander zu duzen und nichts, absolut nichts voreinander zu verheimlichen. Emilie List im fernen Paris hatte eine gewichtige Konkurrentin bekommen.
    »Du musst gleich an ihn schreiben!«, bestimmte Sophie und wusste auch schon Rat, wie die Korrespondenz der beiden Liebenden organisatorisch geregelt werden sollte. »Poste restante!«, erklärte Sophie. »Du kannst natürlich an ihn direkt schreiben, aber er antwortet postlagernd an irgendeinen Fantasienamen, den du ihm vorher nennst. Ich werde den Brief dann vom Amt für dich abholen. Manchmal vielleicht auch deine Zofe, wenn du ihr trauen kannst. Hauptsache, niemand auf der Post kennt dich selbst – für den Fall, dass dein Vater irgendwelche Nachforschungen anstellen sollte.« Sie schüttelte den Kopf, zugleich begeistert und erschüttert. »Was für eine entsetzliche Tragödie! Romeo und Julia, Hero und Leander ... Ich kann dir nicht sagen, wie ich dich beneide.«
    Durch Sophies Freundschaft gewann Clara schneller als erwartet ihre Sprache zurück. Friedrich Wieck stellte mit Genugtuung fest, dass sein Clärchen schon nach wenigen Dresdner Tagen wieder »ganz die Alte« war, wie er es nannte. Er ahnte nicht, dass die roten Backen und das heimliche Strahlen durch die Briefe genau jenes Herrn Schwärmerers und Fantasiemenschen ausgelöst wurden, vor dem das verblendete Kind eigentlich bewahrt werden sollte.
    Lange Briefe gingen zwischen Dresden und Leipzig hin und her. Im Übrigen genoss Clara mit Sophies Unterstützung die Vorzüge der großen Stadt. Sie nahm Unterricht, ging zu Einladungen und in die Oper und gab Privatkonzerte, die ihren Ruhm mehrten und ihr Freude bereiteten. Friedrich Wieck hatte bereits wiederseine Schatulle aktiviert, in der er die kostbaren Geschenke einschloss, die Clara nach ihren Auftritten überreicht wurden. In Leipzig würde man sie zu Geld machen und dieses dann dem Capital hinzufügen. Sie schon in Dresden zu verkaufen wäre zu riskant gewesen. Immerhin bestand die Gefahr, dass einer der Geber seinem Geschenk dann wiederbegegnete und sich düpiert fühlte, weil Clara es nicht behalten hatte.
    Der Februar war kalt und schneereich. Trotzdem musste sich Friedrich Wieck für ein paar Tage nach Leipzig begeben, um eine Lieferung von mehreren Klavieren zu organisieren. Die Tage in Dresden waren geschäftlich erfolgreich gewesen, und mit der Lieferung der Instrumente wollte er nicht bis zum Frühjahr warten. Von winterlichen Stürmen und schneeverwehten Straßen hatte sich Friedrich Wieck ohnedies noch nie von etwas abhalten lassen.
    So stieg er am finstersten Morgen dieses Februars in die Postkutsche nach Leipzig, während ebendort Robert Schumann dem Postillion sein Köfferchen reichte, um sich danach in der Kutsche zwischen zwei beleibte Herren zu zwängen, die ihm für die nächsten Stunden kaum Platz zum Atmen ließen.
    Fast regungslos saß er eingeklemmt zwischen den beiden Reisegefährten, die sich schlafend an ihn lehnten und ihn zumindest vor dem Frieren bewahrten. Er selbst fand keine Ruhe. Zu vieles war in letzter Zeit geschehen. Als Claras erste Briefe aus Dresden eintrafen und ihm bewiesen, dass sie nicht bereit war, ihn aufzugeben, meinte er schon, nun wäre ihm das Schicksal endlich wieder besser gesonnen. Vor vier Tagen aber hatte ihn aus Zwickau die Nachricht vom Tode seiner Mutter erreicht. Er solle schnell kommen, hieß es, sonst würde er das Begräbnis versäumen. In der zweiten Februarwoche sei die Testamentseröffnung geplant. Man wisse zwar, dass der Straßenverkehr derzeit durch Eis und Schnee stark beeinträchtigt sei, aber ein tragisches Ereignis wie dieses verlange, dass man auch solche Unbequemlichkeiten auf sich nehme.
    Robert Schumann war nie ein Mensch gewesen, der sich mit Strapazen abfinden konnte. Er weinte um seine Mutter, doch der Gedanke an die winterliche Reise nach Zwickau war ihm ein Graus. Zwar ließ er sich gleich nach der Benachrichtigung vom Dienstmädchen seiner derzeitigen Vermieterin einen Koffer packen, doch verschob er die Abreise von einem Tag zum anderen, immer in der Hoffnung, am nächsten Morgen würde es aufhören zu schneien und das Eis würde

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