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Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Marschner
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solchen Augenblicken keine Rücksicht zu nehmen.
    Eines Tages geschah es dann aber doch, dass Robert Schumann nach ihrer Hand griff, die sie ihm gerne überließ. Am nächsten Tag zögerte er schon nicht mehr. Am dritten beugte er sich vor und küsste ihren Handrücken und am vierten drehte er ihre Hand um und presste seine Lippen auf die weiche Innenseite,immer näher an das Gelenk heran, wo die Adern durch die zarte Haut schimmerten.
    Clara spürte, wie ihr das Blut zu Kopfe schoss. Einen Augenblick lang war sie sich selbst fast fremd. Robert Schumanns Gesicht war dem ihren ganz nah, als er ihre Hand wieder losließ und Clara plötzlich anlächelte. Ihr war, als sehe sie ihn zum ersten Mal, und zum ersten Mal bemerkte sie, dass sich beim Lächeln in seinen Wangen kleine Grübchen bildeten wie bei einem Kind. Sie erinnerte sich, wie die Mädchen im Konfirmandenunterricht vom hinreißenden Aussehen des einen oder anderen jungen Mannes geschwärmt hatten und gar nicht aufhören konnten, die sensiblen Hände, das edle Profil oder die dichten Wimpern des Angebeteten zu rühmen. Clara und Mila hatten sich über eine solche Begeisterung erhaben gefühlt, jetzt aber hätte Clara plötzlich sehr gerne eine Freundin zur Seite gehabt, um ihr gegenüber Robert Schumanns Grübchen zu preisen. »Wie jung du bist!«, murmelte Robert Schumann, als hätte er ihre Gedanken erraten.
    Von da an wagten sie sich jeden Tag ein wenig weiter vor, als gebe es ein Gesetz, das den Liebenden befahl, ständig voranzuschreiten, auch wenn sie sich das Ziel, dem sie zustrebten, noch nicht einzugestehen wagten.
    Kalt und nass war der November in jenem Jahr 1835, als die deutschen Lande nach den Befreiungskriegen von der napoleonischen Fremdherrschaft nun schon zwei Jahrzehnte lang wieder in Ruhe lebten, einer Zwangsruhe allerdings, in der es immer noch klug war, den Behörden nicht aufzufallen, mit eigenem Vermögen nicht zu protzen und sich von jedem Gespräch fernzuhalten, in dem es um Freiheit ging. Biedermeierlich brav lebte man, höflich und vorsichtig. So hatte man die schweren Zeiten überlebt, und man wusste, dass es immer noch gefährlich war, aus dem allgemeinen Trott auszuscheren. Das System des Fürsten Metternich in Wien konnte mit Leichtigkeit dafür sorgen, dass der allzu Eigensinnige Gelegenheit bekam, in einer Festung ungestört über seinen Freiheitsdrang nachzusinnen. Wenn manunzufrieden war, sollte man diese Gefühle tunlichst im eigenen Herzen schweigend bewahren. Nur die Dichter wagten von der Freiheit zu singen, nach der sie sich sehnten:
    »Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten?
    Sie fliegen vorbei wie nächtliche Schatten.
    Kein Mensch kann sie wissen, kein Kerker einschließen.
    Es bleibet dabei: Die Gedanken sind frei.«
    Auch Clara Wieck und Robert Schumann waren Kinder ihrer Zeit. Da sie wussten, dass Friedrich Wieck gegen ihre Verbindung sein würde, vermieden sie die Konfrontation, sondern trafen sich immer nur heimlich. Wenn Robert Schumann zu Friedrich Wiecks musikalischen Abenden kam, benahm er sich Clara gegenüber nicht anders als jeder andere Gast. Nur manchmal warfen sie einander verstohlene Blicke zu. Niemals aber hätten sie gewagt, ihre Hände einander berühren zu lassen oder die Klangfarbe ihrer Stimme zu verändern, wenn sie sich an den geliebten Menschen wandten.
    Nur auf ihren Spaziergängen waren sie frei. Doch immer öfter wünschten sie sich mehr. Sie sprachen nicht darüber, sondern versicherten einander ständig, so, wie es sei, sei es wunderbar. Trotzdem spürte Clara, dass sich ihre Empfindungen veränderten. Wenn sie sich dem gemeinsamen Treffpunkt an der großen Eiche näherte, klopfte schon ihr Herz und das Blut schoss ihr in die Wangen. Sie konnte kaum erwarten, dass Robert Schumann vor sie hintrat und sie umarmte. Trotzdem wagten sie nicht einmal, einander zu küssen, obwohl sie in Wahrheit fast ständig daran dachten. Wenn Clara zu Hause am Klavier fantasierte, hätte jeder, der es hörte, begreifen müssen, wie es um sie stand. Doch Friedrich Wieck war selten daheim, und für Clementine klang ein Musikstück wie das andere.
    Gegen Ende des Monats, als der novemberliche Dauerregen in winterlichen Frost überging, bat Friedrich Wieck wieder einmal zu einem seiner Abende. Auch Robert Schumann war eingeladen,notgedrungen, denn er gehörte inzwischen zum inneren Kreis der Leipziger Musikszene. Wie immer war er auch an diesem Abend zurückhaltend und still. Eigentlich drehte sich alles um

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