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Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Marschner
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Felix Mendelssohn, der voller Begeisterung erzählte, er habe sich unsterblich verliebt. Zwar sei ihm dieser Zustand nicht unbekannt, doch diesmal sei alles anders. »Ich lernte sie in Frankfurt kennen, und einen Tag später musste ich abreisen«, erzählte er betrübt. »Mir war, als koste es meinen Hals. Sie ist so leicht, so klar, so natürlich.« Er wolle heiraten, fuhr er fort. So schnell wie möglich. »Wozu warten, wenn man sich doch liebt?«
    Von der einen Seite des Raumes zur anderen sahen Clara und Robert Schumann einander an. Wozu warten, wenn man sich doch liebt?
    Auch Friedrich Wieck versank für eine Weile in Gedanken. In letzter Zeit hatte er heimlich darüber nachgedacht, dass einer wie Felix Mendelssohn wahrlich ein prächtiger Schwiegersohn wäre. Reich, sehr reich sogar, dazu liebenswürdig, gebildet und vor allem ein großer Musiker. Dass er getaufter Jude war, konnte man bei diesen Vorzügen übergehen. Man war schließlich ein moderner Mensch, der die Welt kannte. Zu schade, dass man versäumt hatte, zu fördern, was wünschenswert gewesen wäre! »Darf man nach dem Namen der jungen Dame fragen?«, erkundigte er sich schließlich, um sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen.
    Felix Mendelssohn lächelte. »Cécile«, antwortete er. Aus seinem Mund klang es wie Musik. »Cécile Jeanrenaud.« Dann ließ er am Klavier seiner Leidenschaft und Zärtlichkeit freien Lauf, und alle Anwesenden fühlten mit ihm und sehnten sich nach der Erfüllung seiner Liebe.
    Es war schon spät, als man auseinanderging. Friedrich Wieck kämpfte noch immer mit seiner Enttäuschung und verabschiedete sich bereits im Salon, während Clara die Gäste zum Haustor geleitete. Robert Schumann ging noch langsamer als sonst und ließ allen anderen den Vortritt, sodass er zuletzt mit Clara allein auf der Schwelle zurückblieb.
    Nur einen Schritt brauchte es, um wieder ins Haus zurückzutreten und das Tor leise anzulehnen. Dann standen sie einander gegenüber. Die Kerze in Claras Hand flackerte in beider Atem. Sie starrten einander in die Augen. Clara spürte, dass sie zitterte. Robert Schumann streckte die Arme nach ihr aus und zog sie näher zu sich heran. Als sich sein Gesicht dem ihren näherte, schloss sie erst die Augen und öffnete sie dann gleich wieder, weil sie seinen Blick nicht verlieren wollte.
    »Als Du mir den ersten Kuss gabst, da glaubt’ ich mich einer Ohnmacht nahe«, schrieb Clara ein paar Tage später von einer kurzen Konzertreise an Robert Schumann. »Vor meinen Augen wurde es schwarz, das Licht, das Dir leuchten sollte, hielt ich kaum.«
2
    Es kam Clara vor, als wäre sie neu geboren, nein, als wäre sie überhaupt erst jetzt geboren worden und wäre bisher nur halb im Schlaf durch die Welt gegangen, ohne deren göttliche Schönheit zu bemerken. Als hätte man einen Schleier von ihren Augen weggezogen, so schien es ihr. Auf einmal war es Frühling mitten im nebligen November und im trüben Dezember. Die winterlichen Bäume, die ihre kahlen Äste wie inbrünstige Arme zum Himmel streckten, rührten ihr Herz und versprachen eine Zukunft voller duftender Blüten. Die blassen Gesichter der Passanten erweckten ihre Sympathie, weil es nicht mehr lang dauern würde, dass sich die kalten Wangen in der Frühlingssonne röteten. Kinder, die sie bisher kaum bemerkt hatte, brachten sie zum Lachen, und die Gebrechen der Alten erweckten ihr Mitleid und den Wunsch, behilflich zu sein.
    Zum Egoismus hatte ihr Vater sie erzogen, dazu, immer zuerst an sich selbst und an die eigenen Pflichten zu denken und sich niemals vom Streben nach dem eigenen Vorteil ablenken zu lassen. Nun aber ließ sich Clara ablenken. Sie dachte nicht mehrnur an sich, sondern vor allem an diesen seltsamen jungen Mann, den sie schon so lange kannte und der dennoch auf einmal ein ganz anderer für sie war.
    Alles an ihm gefiel ihr. Seine kleinsten Scherze brachten sie zum Lachen, und sie bedauerte, dass sie sie nicht weitererzählen konnte. Sie wollte gar nicht aufhören, sein Gesicht zu betrachten und es zu streicheln. Wenn sie seinen Namen flüsterte, war ihr, als gäbe es auf der ganzen Welt keinen schöneren. Danach konnte sie sich ausschütten vor Lachen, als er ihr erzählte, sein Vater habe eigentlich bestimmt, ihn »Medardus« zu nennen, weil dies der Kalenderheilige seines Geburtstags war. Seine Mutter habe Tage gebraucht, ihren Gatten von seinem Vorhaben abzubringen. Erst als sie drohte, ihre Familie für immer zu verlassen und das

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