Das Maedchen am Klavier
er sich auch jetzt. Wenn es erst darauf ankam, würde sie schon wieder reden. Hauptsache, sie traf sich nicht mehr mit diesem Galan, der ihre Karriere zerstören würde. »Er möchte, dass du ihn heiratest«, sagte Friedrich Wieck ins Dunkel der Kutsche hinein. Er erwartete keine Antwort.Ein wenig fühlte er sich wie in einem Beichtstuhl, obgleich er als Protestant einen solchen noch nie betreten hatte. »Dann würdest du ans Haus gebunden sein und womöglich jedes Jahr ein Kind bekommen«, fuhr er fort. »Clara Wieck steht der Himmel offen. Clara Schumann bliebe nur ein trauliches Häuschen und ein Ehemann, der vom Capital lebt.« Er legte den Arm um Claras Schultern und atmete auf, weil sie nicht zurückwich. »Ich schenke dir die Welt, meine Clara«, versprach er. »Wir haben noch so viel vor: Breslau, Berlin, Wien, Paris! Und dann, wer weiß ...« Er verlor sich in seinen Träumen.
Nanni war eingeschlafen und schnarchte leise. Die Reisevorbereitungen hatten sie erschöpft, vor allem auch, weil ihr Clementine in keiner Weise geholfen hatte. Clementine hasste den Gedanken, dass ihr Gatte schon wieder eigene Wege ging. Nicht dass sie ihn besonders vermisst hätte, wenn er nicht da war, aber ein Mann gehörte zu seiner Familie, und das waren nun einmal seine Frau und seine Kinder, nicht eine einzige Tochter, die ihn vollends beanspruchte.
»Clara ist unsere Einkommensquelle«, hatte Friedrich Wieck einmal zu Clementine gesagt, als er auf einem seiner gastlichen Abende zu viel bayrisches Bier getrunken hatte. »Ihre Konzerte spielen ein Vielfaches von dem ein, was die Klavierproduktion oder das Institut jemals bringen könnten.«
»Soll ich dafür auch noch dankbar sein?«, hatte Clementine verärgert gefragt.
»Ja«, war die Antwort gewesen. »Ja, das verlange ich von dir.«
In Dresden stiegen sie im Hotel »Stadt Frankfurt« ab, in der Moritzstraße. Zwei aneinandergrenzende Zimmer, in dem einen Friedrich Wieck, im anderen Clara und Nanni. Friedrich Wieck bestimmte, dass die Tür zwischen den Räumen nur angelehnt sein durfte. Es beeinträchtigte seine Stimmung, dass sich die Reisekosten durch Nanni erhöht hatten. Das Cotelett mit Erdäpfeln koste zehn Groschen, schrieb er an Clementine, die sich dafür herzlich wenig interessierte, aber immerhin mit Genugtuungfeststellte, dass fast jeden Tag ein Brief von ihm kam. Als entfernter Ehemann war er bedeutend aufmerksamer denn als anwesender. »Das Frühstück hier im Hotel ist so teuer, dass man am liebsten gleich wieder abreisen möchte«, fügte er hinzu. »Gestern habe ich Nanni zum Bäcker geschickt um ein paar trockene Semmeln. Aber Clara zog einen solchen Schmollmund, dass wir dann doch wieder im Hotel frühstückten. Eine derartige Fettlebe werden wir nicht lange durchhalten können, ohne dass Clara ein paar Konzerte gibt.«
Wider Erwarten tat Clara der Aufenthalt in Dresden gut. Um sie aus der Reserve zu locken, machte Friedrich Wieck sie mit einer jungen Dame bekannt, die im gesellschaftlichen Leben der Stadt eine gewisse Rolle spielte: Sophie Kaskell, die neunzehnjährige Tochter eines jüdischen Hofbankiers, eine ausgezeichnete Pianistin, was die Freundschaft mit Clara erleichtern würde. Was Friedrich Wieck nicht wusste, war, dass Sophie die Kompositionen Robert Schumanns verehrte. Ihre erste Frage, als sie mit Clara allein war, lautete daher: »Ist Ihnen eigentlich der Komponist Robert Schumann einmal begegnet?«
Clara, die bisher mit gerunzelter Stirn schweigend vor ihrer Teetasse gesessen hatte, fuhr hoch. Erst war sie misstrauisch, aber dann spürte sie, dass die Frage ohne Hintergedanken gestellt worden war. »Ja, das ist er«, antwortete sie leise und hatte plötzlich Tränen in den Augen. Dann erzählte sie Sophie, die durch ihre Frage gleichsam von einem Moment zum anderen ihre Vertraute geworden war, von ihrer Liebe zu Robert Schumann und von den Hindernissen, denen diese Liebe ausgesetzt war.
Sophie Kaskell war entzückt. Von einer derart romantischen Liebesgeschichte hatte sie noch nie gehört. Dabei fühlte sie sich als Fachfrau für Romanzen, schrieb sie doch seit mehreren Jahren unter dem Pseudonym »Tante Aurelie« herzerwärmende Liebesromane für die örtliche Presse. Dazu führte sie selbst eine bittersüße Beziehung als Braut eines fast fünfzigjährigen Grafen, dessen Familie über diese Verbindung ebenso entsetzt war wie Sophies Eltern. Doch damit wurde Sophie ohne Mühe fertig. Sieliebte Verwirrungen, Duelle, Sehnsüchte,
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