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Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Marschner
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schnell wieder verloren.
    Sie umarmten einander, dann stieg auch Robert Schumann ein und zwängte sich auf den letzten Platz neben der Tür. »Alles wird gut!«, versuchte er, Clara ein letztes Mal zu beruhigen. Clara erinnerte sich daran, dass auch ihr Vater vor kurzem diesen Satz zu ihr gesagt hatte. War damals wirklich alles gut geworden, und meinte Friedrich Wieck das Gleiche wie Robert Schumann, wenn er etwas für gut hielt?
    Der Postillion warf die Türe zu und kletterte auf den Kutschbock. Er führte sein Horn an die Lippen und gab das Zeichen zur Abfahrt. Clara glaubte, noch nie eine so jämmerliche Folge von Tönen gehört zu haben. Danach schnalzte der Postillion mitder Peitsche und der Schlitten setzte sich in Bewegung. Clara versuchte, noch einen Blick auf Robert Schumann zu erhaschen, doch binnen weniger Sekunden waren die Fenster von innen so stark angelaufen, dass nichts mehr zu erkennen war.
    Langsam quälten sich die Pferde im Neuschnee voran. Man konnte sich nicht vorstellen, wie sie die lange Strecke zurücklegen sollten, die noch vor ihnen lag.
    Clara weinte, als sie durch die verlassenen Straßen zum Hotel zurückging. Sie musste läuten, um eingelassen zu werden. Als sie die Tür zu ihrem Zimmer aufschloss, war ihr Gesicht noch immer von Tränen überströmt.
    Sie wunderte sich, dass auf dem Schreibtisch eine Lampe brannte. Erst auf den zweiten Blick begriff sie, wer sie angezündet hatte: Am Schreibtisch saß ihr Vater und starrte ihr düster entgegen. Vor ihm lag eine aufgeschlagene Zeitung, der »Dresdner Anzeiger«, wie Clara unwillkürlich bemerkte.
    Langsam stand Friedrich Wieck auf und kam auf sie zu. Wie es sonst nur ihre Brüder taten, wenn sie sich vor seinen Schlägen fürchteten, hob nun auch Clara zum ersten Mal im Leben einen angewinkelten Arm vor ihr Gesicht. Noch immer hatte Friedrich Wieck kein Wort gesagt. Jetzt aber packte er Clara am Arm und drückte dabei so fest zu, dass sie aufschrie. Er führte, nein, er stieß sie zum Tisch. Dort ließ er sie los und wies mit dem Zeigefinger auf eine Stelle in der Zeitung. »Lies!«, zischte er Clara an, die den Kopf abwandte. Zögernd beugte sie sich vor, um im Halbdunkel die Notiz zu entziffern. »Angekommene Fremde«, lautete die Überschrift. Darunter eine kurze Namensliste. Clara meinte, sie müsse umsinken, als sie gleich den ersten Namen las. »Hr. Musikgelehrt. Schumann a. Zwickau« stand da. Sonst nichts. Doch das genügte schon.
    Anderthalb Jahre lang trafen sie einander nicht wieder. Clara wusste nicht, was in dem Brief stand, den ihr Vater noch am selben Vormittag an Robert Schumann schrieb, aber sie konnte es sich ungefähr denken. Zu deutlich waren seine Worte gewesen,mit denen er sie von dem unerwünschten Schwiegersohn abzubringen suchte. Nie hätte sie gedacht, dass ihm dies gelingen würde, doch dann stürzten seine Anschuldigungen mit solcher Wucht auf sie ein, dass sie sich nicht mehr vorstellen konnte, wer dieser Mensch eigentlich war, den er ihr schilderte.
    Friedrich Wieck nahm keine Rücksicht darauf, dass er zu einem jungen Mädchen sprach, das bisher noch nie mit den Verwirrungen der Menschen in Konflikt geraten war. Was wusste sie schon von den nächtlichen Begegnungen im Goldgässchen, in das sich eine anständige Frau nie gewagt hätte? Was wusste sie von heimlichen Affären, die darin gipfelten, dass einem nichtsahnenden Ehemann ein Kuckuckskind untergeschoben wurde? Was wusste sie von den exaltierten Treffen der Sonnenjünglinge, den Liedern, die sie sangen, und den Tränen, die sie vergossen? So viel Romantik – aber manchmal doch auch nur »das Eine«, das nicht einmal Friedrich Wieck zu erklären wagte und das deshalb Clara als der Gipfelpunkt aller Laster erschien.
    »Das Eine«, was immer es war, konnte doch nichts zu tun haben mit einem behutsamen, fast schon ängstlichen Menschen wie Robert Schumann, so sanft und so schüchtern, dass sogar Claras stürmische Zuneigung manchmal zu viel für ihn gewesen war! So temperamentvoll, wie sie ihre Kadenzen ins Klavier donnerte, so leidenschaftlich war sie in diesen Dresdner Tagen manchmal auch in ihren Umarmungen gewesen. Wenn Robert Schumann nicht da war, sehnte sie sich nach ihm, und wenn er zu ihr kam, stürzte sie sich in seine Arme wie in ein wogendes Meer.
    Er aber hatte sich zurückgehalten, sie besänftigt und daran erinnert, dass sie für ihn die Reinheit in Person war. Ein wunderschönes junges Mädchen, das er anbeten wollte und verehren.

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