Das Maedchen am Klavier
fest. Seine Züge strafften sich. Er schritt frei voran, und wenn er sprach, konnte ihn jeder verstehen. Erst jetzt ahnte er, dass er krank gewesen war. Doch nun war sein Gemüt gesundet und er wartete nur noch darauf, dass das Mädchen seines Herzens endlich nach Leipzig zurückkehrte.
»Ich habe nicht bemerkt, dass du sie liebst«, sagte Felix Mendelssohn erstaunt, als er die Widmung der Sonate las.
Robert Schumann lächelte. »Wie sehr, das wusste ich früher auch noch nicht.«
»Und trotzdem der ›Kunsthistorische Ball‹?«, fragte Felix Mendelssohn zweifelnd.
Doch Robert Schumann zuckte die Achseln. »Das ist Vergangenheit. Clara wird mir verzeihen.«
Robert Schumann hatte einen Sinn für die Dramaturgie der Liebe. Diesmal wollte er Clara für immer erobern, diesmal wollte er nichts falsch machen. Seit er als Student zum ersten Mal nach Leipzig gekommen war, hatte er darum gekämpft, dass ihn der große Friedrich Wieck anerkannte. Eine Art zweiter Vater sollte er für ihn werden, dem einsamen jungen Anfänger seinen Rat schenken und seine Achtung. Noch immer bewahrte sich Robert Schumann diese Sehnsucht, aber er war nicht mehr bereit, dafür jede Demütigung auf sich zu nehmen. Wenn ihn Friedrich Wieck partout nicht anerkennen wollte, musste es wohl genügen, allein Clara für sich zu gewinnen.
Deutlicher als jeder andere hatte Robert Schumann erkannt, wie stark sie war. Noch war sie ein halbes Kind, das sich ein Leben ohne den Schutz des Vaters nicht vorstellen konnte. Bald aber würde die ständige Bevormundung ihren Widerstand hervorrufen und sie in die Opposition treiben.
Robert Schumann fand, dass Friedrich Wieck zu weit ging. Am liebsten hätte er seine Tochter in einen unsichtbaren Käfig gesperrt und alle von ihr ferngehalten, die seine väterlichen und geschäftlichen Interessen gefährdeten. Wenn Clara aber erst durchschaute, dass es ihrem Vater um seinen eigenen Vorteilging und nicht um ihr Glück, würde sie sich von ihm abwenden, dessen war sich Robert Schumann sicher.
Ebenso überzeugt war er davon, dass die Verbindung mit ihm selbst Claras Lebensglück garantieren würde. Zwei Tage lang sprach er kein Wort mit seinem Freund Glock, weil dieser zu ihm gesagt hatte, eigentlich seien seine Beweggründe denen des »Alten« ziemlich ähnlich: »Beide wollt ihr sie unbedingt für euch haben und meint, das wäre das Beste auch für sie. Habt ihr jemals daran gedacht, dass diese junge Frau zu ihrem Glück vielleicht etwas ganz anderes braucht? Etwas, das ihr beide ihr nicht geben könnt?« Dann hatte er mit den Schultern gezuckt. »Womöglich weiß nicht einmal sie selbst, was für sie das Beste ist. Irgendwie merken wir alle das ja immer erst, wenn es bereits zu spät ist.«
Doch Robert Schumann war nicht bereit, sich seinen neuen Elan durch Grübeleien zu verderben. Optimistisch ließ er sich ein Porträt von Clara rahmen und hängte es in seinem Musikzimmer neben den Bildern von Bach und Beethoven und einer Lithografie seines verstorbenen Freundes Schuncke auf.
»Weiß Clara, dass ihr Bild hier hängt?«, fragte Felix Mendelssohn, als er Robert Schumann in seiner Wohnung im Hinterhaus des »Roten Kollegs« besuchte, von dessen Fenster aus man auf die üppigen Bäume und Büsche der Promenade blicken konnte, die das alte Leipzig umgürtete.
»Noch nicht«, antwortete Robert Schumann unbekümmert. »Doch bald wird sie es selbst sehen.« Gerade vor zwei Stunden hatte er das endgültige Manuskript seiner fis-Moll-Sonate bei Clara abgeben lassen. Sie hatte es persönlich entgegengenommen und ihren »höflichen Dank« ausrichten lassen. Robert Schumann zweifelte nicht daran, dass sie ihm bald auch persönlich antworten würde.
Doch die Tage verstrichen und Clara meldete sich nicht. Zum ersten Mal seit Monaten ging Robert Schumann wieder in den »Kaffeebaum«, um sich zu betrinken. Zu seinem Glück tauchte aber rechtzeitig Felix Mendelssohn auf und begleitete ihn bis nach Hause. »Man wird sich wohl etwas einfallen lassen müssen«,sagte er nachdenklich, als er Robert Schumann ins Haus schob.
Am nächsten Tag schon verabredete Felix Mendelssohn mit Friedrich Wieck, dass Clara in einem Sonderkonzert im Börsensaal ihre »Variationen op. 8« vortragen solle. »Unser Leipziger Publikum wünscht sich mit Ungeduld, das neue Werk Ihrer verehrten Tochter kennenzulernen. Sie sind sicher auch meiner Meinung, dass dazu die ›Sinfonischen Etüden‹ unseres Freundes Schumann wunderbar passen. Ich kenne
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