Das Maedchen am Klavier
auch ein Kammersänger sollte mit zwei Liedern auftreten. Danach erwartete man als Augenschmaus ein ganz besonders hübsches Mädchen – Marie Wolf, eine stadtbekannte Schönheit mit einer angenehmen Sprechstimme. Sie würde ein Gedicht vortragen. Dazu kamen noch ein Quartett mit vier Männerstimmen und romantische Lieder, dargeboten von Mitgliedern des Stadttheaters. Eine bunte Mischung, wie sie dem Publikum eigentlich am liebsten war. Mit wenigen Ausnahmen hätte man – zumindest hier in Leipzig – auf Felix Mendelssohns ehrgeizige Projekte auch gerne verzichtet und sich lieber immer nur auf die schönen Melodien beschränkt, mit denen man aufgewachsen war und die einem vertraut waren. Dass er heute mit einem schelmischen Lächeln auf die heimlichen Sehnsüchte seines Publikums einging, rechnete man ihm hoch an.
Die Auftritte der anderen Künstler verschafften Clara die Gelegenheit, in den Saal hineinzublicken. Erst fürchtete sie schon, Robert Schumann wäre nicht gekommen, doch dann entdeckte sie ihn ganz außen in der ersten Reihe, von wo er ihr beim Spielen geradeaus ins Gesicht schauen konnte. Auch sie selbst brauchte den Kopf nicht zu drehen, um ihn zu sehen, und immer wieder trafen sich ihre Blicke.
Als das Konzert zu Ende war und die Künstlerinnen unter Blumen versanken, unterhielt sich Friedrich Wieck noch lange mit den Zuhörern und berichtete stolz von Claras Triumphen in Berlin. Clara selbst aber eilte in ihre Garderobe und hoffte, Robert Schumann würde bald zu ihr kommen. Sie schärfte Nanni ein, niemand anderen als nur ihn vorzulassen. Allen übrigen Besuchern solle sie sagen, Fräulein Wieck halte sich noch immer unten im Saal auf.
Dann stand er tatsächlich in der Tür und ließ sie langsam hinter sich zufallen! Noch nie war Clara ein Gesicht so vertraut erschienen. Alle Kränkungen der Vergangenheit waren vergessen: die Demütigungen durch Friedrich Wieck, die versteckten Beleidigungen im »Kunsthistorischen Ball«, die bösen Gerüchte über »das Eine«, Robena Laidlaw und Carl Banck. Nichts mehr von alldem. Nur die Gegenwart zählte, in der sie einander wiedererkannten und gleichzeitig in die Arme stürzten. Clara war wieder »Clärchen« und Robert Schumann der »liebe, liebe Robert«.
Am folgenden Tag, dem Namenstag des heiligen Eusebius, wartete Robert Schumann wie früher an ihrem alten Platz unter der Eiche. »Herzen und Kosen« schrieb er danach in sein »Lebensbuch«, dahinter drei Rufzeichen. Clara, die ihr Tagebuch noch immer gemeinsam mit ihrem Vater führte, kennzeichnete das Datum überhaupt nicht. Noch war ihre Liebe ein Geheimnis, und auch ohne darüber zu schreiben, würde sie nie vergessen, dass Robert Schumann sie an diesem Nachmittag gefragt hatte, ob sie seine Frau werden wolle. Eineinhalb Jahre der Prüfung seien genug. Da ihre Liebe diese Probe überstanden habe, dürfe ihr Vater seine Zustimmung nicht länger verweigern.
»An deinem Geburtstag in vier Wochen werde ich um deine Hand anhalten.« Robert Schumann lächelte und wieder war Clara entzückt wie ein Schulmädchen über die Grübchen in seinen Wangen. »Der Tag des heiligen Eusebius«, fuhr Robert Schumann fort, »wollen wir ihn nicht zu unserem Verlobungstag erklären?«
Natürlich sagte sie Ja. Wie sie da in der hellen Nachmittagssonne standen und die Blätter der alten Eiche im sanften Windhauch leise raschelten, erschien alles einfach und richtig. Waren sie einander nicht unerhört ähnlich? Sie eine Musikerin, er ein Musiker. Ein Leben lang würde einer den anderen verstehen. Sie würden einander inspirieren und fördern. »Eine Künstlerehe!«, schwärmte Robert Schumann. »Kann es eine idealere Verbindung zwischen zwei Menschen geben?«
Am Abend dann, als jeder bei sich zu Hause war und sie dennoch immer nur aneinander dachten, verfasste Robert Schumann einen langen Brief an Clara, die er nun zum ersten Mal seine »junge Braut« nannte. »Wir wollen uns nur recht lieb und treu bleiben«, schrieb er und stellte sich ein trauliches Häuschen am Rande seiner Heimatstadt Zwickau vor. »Ein Engelleben soll es werden. Du wirst mich leise führen, wo ich es bedarf. Du wirst mir sagen, wo ich gefehlt und auch wo ich etwas Schönes geleistet habe. Genau so will ich es auch Dir gegenüber halten. Du sollst Bach in mir und ich Bellini in Dir lieben. Wir werden oft vierhändig spielen. Abends phantasiere ich Dir in der Dämmerung vor und Du wirst dazu manchmal leise singen. Dann fällst Du mir selig ans Herz
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