Das Maedchen am Klavier
Werke in ihr Repertoire aufzunehmen?Gewiss, in Wien hatte sie sich ein paar Mal erweichen lassen, Schumann zu spielen. Immer aber im privaten Kreis und lange nach Mitternacht, wenn nur noch die eingefleischten Musikliebhaber anwesend waren, während Robert Schumann doch die Aufmerksamkeit des Durchschnittspublikums gebraucht hätte. Erst dieses machte, gemeinsam mit der Presse, einen unbekannten Komponisten endlich populär.
Eine Künstlerehe wünschte sich Robert Schumann. Ein Blütenleben sollte das sein, das die Menschheit beschenkte. Zwei Halbgötter, die einander inspirierten. Ohne Misstrauen und ohne Neid. Doch war eine solche Konstellation überhaupt möglich zwischen zwei Menschen, die den Egoismus brauchten, um ihr Werk zu schaffen und durchzusetzen?
Einen Augenblick lang dachte Clara, sie hätte soeben aufgehört, Robert Schumann zu lieben. Sie nahm die Noten der »Kreisleriana« vom Pult und schob sie weg. Dann aber sah sie ihren heimlichen Verlobten wieder vor sich, wie er über die Waldwege stolperte und wie er sie anlächelte. Sie spürte seine warmen, weichen Hände auf ihren schmerzenden Wangen und schämte sich, dass sie an ihrer Liebe gezweifelt hatte.
Als sie im September im Gewandhaus ein Konzert gab, spielte sie Chopin und ihr eigenes »Scherzo«. Bei einem raschen Blick in den Saal sah sie, dass Robert Schumann versteckt im Publikum saß. Dabei hatte er angekündigt, er werde nicht kommen. Vor Freude und Schreck wurde ihr zugleich heiß und kalt, denn wieder hatte sie kein Stück von ihm im Programm. Es tröstete sie nur, dass das Publikum beim »Scherzo« ganz aus dem Häuschen geriet. Auch Robert Schumann klatschte begeistert und flüsterte ihr danach im Vorbeigehen zu, er habe sich entschlossen, nach Wien zu fahren und dort um eine Lizenz für seine Zeitschrift zu ersuchen. Wenn sich alles so entwickle, wie er es plane, werde er bald die zweitausend Taler Jahreseinkommen bieten können, die man von ihm verlange. »Man«, das hieß Friedrich Wieck, der das Tête-à-Tête bereits bemerkt hatte und drohend näher kam.
Beschämt zog sich Robert Schumann zurück, während Clara Hände schüttelte und sich auf die Wangen küssen ließ.
Ostern 1840, dachte sie, um sich zu trösten, und stellte sich einen strahlenden Frühlingstag vor, voller Glück und Sorglosigkeit. Ein weißes Kleid trug sie da, schöner als jede Konzertrobe. Ihre Augen leuchteten und ihr blauschwarzes Haar, gekrönt von einem Blütenkranz, schimmerte in der Sonne. An ihrer Seite, unbeschwert und jung, so jung: der Bräutigam. Robert Schumann, der Mann, den sie liebte und ein Leben lang lieben wollte ... Zu ihrer Rechten ihr Vater. Auch er sah glücklich aus und nannte Robert Schumann seinen lieben Sohn. Sogar ihre Mutter kam auf sie zu und umarmte sie zärtlich. Auch sie trug ein schönes Kleid, ein kostbares Kleid. Vielleicht war sie auf irgendeine wundersame Weise der ärmlichen Ehe mit Adolph Bargiel entronnen. Auch Felix Mendelssohn küsste Clara die Hand und gratulierte ihr. An seiner Seite seine ausländische Rose, fast so schön wie die Braut.
Alle waren da, die Clara gern hatte: ihre Freundinnen, vor allem Mila. Johanna Strobel, ganz alt, aber nicht schwach, und Nanni, die zufrieden aussah. Welche Überraschung, als plötzlich Alfred von Schönburg vortrat und Clara ein Päckchen überreichte! Als sie es öffnete, lag darin ihre Geburtstagsuhr, schöner, als sie jemals gewesen war. Als sich Clara bedanken wollte, war der Fürst schon wieder verschwunden. Nicht einmal Friedrich Wieck hatte ihn zurückhalten können. Welcher Stil, sich nicht in eine Familienfeier zu drängen!
Clara wunderte sich nicht, als sie weiter hinten Ernestine von Fricken bemerkte und Robena Laidlaw, Robert Schumanns alte Flammen, gelb vor Neid. Nur die eine, die Fremde, die Kellnerin Christel, war wohl nicht gekommen. Clara war froh darüber. Es hätte ihr Angst gemacht, der blassen jungen Frau zu begegnen, die etwas Schicksalhaftes an sich hatte, etwas Unheimliches, obwohl sie doch nur ein einfaches Mädchen aus dem Volk war, das sich in einen jungen Künstler verliebt hatte.
Ostern 1840. Aus Clara Wieck würde Clara Schumann werden. Ein neuer Mensch – hieß es doch, dass die Ehe eine Frauverändere. Auf jeden Fall aber würde sie glücklich sein, unendlich glücklich, dessen war Clara sicher.
2
Paris. Sieben Jahre waren seit Claras erster Reise nach Frankreich vergangen. Ein kleines Mädchen war sie damals noch gewesen, doch bereits
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