Das Maedchen am Klavier
ihrem Fenster eine Nachricht zuwarf. Wenn Clara jedoch mit einem weißen Tuch winkte, bedeutete das, sie könne ihn sofort am Neumarkt treffen. Dort tauchten sie dann in der Menge unter und suchten sich einen dunklen Hauseingang oder einen anderen Schlupfwinkel, wo sie einander in die Arme fallen konnten.
»Es ist demütigend!«, klagte Robert Schumann. Er litt unter der Heimlichkeit, doch zugleich stachelte dieses Unbehagen seine Schaffenskraft an. Nie hätte er sich eingestanden, dass der romantische Verzicht ein künstlerischer Stimulus für ihn war, viel stärker als eine erfüllte Liebe. Hastige Küsse im Halbdunkel, immer in der Sorge, überrascht zu werden, womöglich sogar von Friedrich Wieck selbst. Ungeschickte Umarmungen vor modrigen Hauswänden. Anzügliche Bemerkungen von Passanten: »Los, los, nur nicht so schüchtern, sonst kommt ihr nie ans Himmelstor!« Clara schämte sich und fragte sich, für welche Art von Frau man sie wohl hielt.
»Wir müssen heiraten!«, sagte Robert Schumann mit unterdrückter Stimme, denn kein Fremder sollte ihn hören. »Eineinhalb Jahre, länger werde ich nicht mehr warten. Ostern 1840, bis dahin kann ich die Bedingungen deines Vaters bestimmt erfüllen.« Wie der Bauernbursche aus den Märchen, die in den letzten Jahren so populär geworden waren, kam er sich vor. Der arme Junge, der sich ausgerechnet in die schöne Prinzessin verliebte und dem der königliche Vater unlösbare Aufgaben stellte. Immer noch eine und noch eine, weil gar nicht erwünscht war, dass der kleine Narr sein Ziel erreichte.
»Du musst ihn verstehen«, bat Clara leise. »Eigentlich hat er ja nicht unrecht: Von der Liebe allein kann man nicht leben.«
Da ließ Robert Schumann sie los und wich ernüchtert zurück. Berechnend kam sie ihm auf einmal vor. Eine kleine Spießerin, der Sicherheit wichtiger war als grenzenlose Hingabe. Wo blieb bei einer solchen Einstellung die Romantik, die selbst den Tod gering achtete, solange man sich nur dem Rausch der Gefühle auslieferte?
»Außerdem kann ich ja selbst noch Geld verdienen. Für jedes meiner großen Konzerte habe ich in Wien mehr bekommen als ein Musikdirektor im ganzen Jahr.«
Robert Schumann erstarrte. Dann schob er ihr sein neuestes Werk zu, die »Kreisleriana«, über den Kapellmeister Kreisler, der an sich und an der Welt litt, so wie Robert Schumann selbst. Waswar Fantasie und was Wirklichkeit? Wie sollte man leben auf dieser Erde, wenn man doch Angst hatte, alles könnte zerfallen und sich in nichts auflösen? Auch man selbst. »Kreisleriana« – eine Musik voll Raserei und danach, im zweiten Teil, voll Ebenmaß und Schönheit: das Ziel, nach dem sich Robert Schumann sehnte wie nach einer alten Volksweise, die Zufriedenheit verhieß und das Einssein mit sich selbst.
Überrascht drückte Clara die Noten an sich, doch da war Robert Schumann auch schon weggelaufen. Verwirrt und gekränkt schaute sie ihm nach. Es fiel ihr schwer, sich mit seiner Sprunghaftigkeit abzufinden. Den einen Moment große Liebe, gleich darauf Verzweiflung oder gar – was öfter vorkam, als ihr lieb war – die Forderung, man müsse verzichten und liebende Distanz halten um der Kunst willen, der sich alles andere unterzuordnen habe.
Zu Hause spielte sie das neue Werk vom Blatt. Dabei war ihr, als griffe ihr eine eiskalte Hand ans Herz. Gerade hatte sie eine eigene Komposition beendet, ihr »Scherzo«, auf das sie bisher stolz gewesen war. Im Vergleich zur »Kreisleriana« kam es ihr aber nun fast langweilig vor, lau und viel zu milde. »Frauenzimmerarbeit«, hatte Robert Schumann sie einmal geneckt, als sie über die schöpferische Arbeit von Frauen diskutierten. »Das Komponieren ist nun einmal nicht Sache der Damen. Glücklicherweise hat es der liebe Gott so eingerichtet, dass in manchen Dingen die Männer über den Frauen stehen.«
Damals hatte sie scherzhaft auf ihn eingeprügelt, doch nun fragte sie sich, ob er nicht vielleicht sogar recht hatte. Warum nur schien er sie immer wieder verunsichern und traurig stimmen zu wollen? Und warum konnte er es kaum ertragen, sie spielen zu hören und mitzuerleben, wie ihr das Publikum zujubelte? Gönnte er ihr nicht, dass man sie die bedeutendste Pianistin ihrer Zeit nannte? Gönnte er ihr nicht, dass man sie liebte, während man ihn fragte, ob er denn auch etwas mit Musik zu tun habe? »Ach ja? Und was denn? Welches Instrument?«
Und sie selbst, Clara Wieck? Wie kam es, dass es sie solche Überwindung kostete, seine
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