Das Maedchen am Klavier
einquartiert. Im höchsten Stockwerk, gleich unter dem Dach.« Ihr Gesicht war plötzlich ganz rot und sie blickte Clara fast flehend an. »Ich könnte es nicht ertragen, da oben zu wohnen, Mademoiselle.«
Clara überlegte. Ihr war klar, dass sie mit ihrem Reisebudget nur auskommen würde, wenn sie die eigenen Kosten möglichst niedrig hielt. Friedrich Wieck hatte Nanni nicht einmal unter dem Dach einquartiert, sondern sie in Claras Zimmer untergebracht, und als Clara noch ein Kind gewesen war, hatte er selbst sich mit ihr ein Zimmer geteilt. »Sie werden bei mir im Zimmer schlafen, Mademoiselle«, bestimmte sie deshalb. »Damit wahren Sie Ihr Gesicht. Darum geht es Ihnen ja wohl.«
Die Französin atmete auf. »Und die Abendeinladungen?«, fragte sie dann. »Die Konzerte?«
»Zu denen gehe ich alleine.«
Die Französin nickte resigniert. »Vielleicht überlegen Sie es sich ja noch«, murmelte sie.
»Das glaube ich kaum.«
Der Aufenthalt in Nürnberg verlief so, wie Clara es befürchtet hatte. Alle Aufgaben eines Impresarios, die bisher Friedrich Wieck erledigt hatte, musste sie nun selbst organisieren. Sie machte den Saal für ihr Konzert ausfindig und mietete ihn für einen möglichst nahen Termin. Sie ließ Eintrittskarten drucken, Programmzettel und Plakate. Sie stellte Billetteure ein und engagierte Musiker. Vor allem aber musste sie ein Klavier auftreiben, das sich wenigstens halbwegs für ein Konzert eignete. Als sie es endlich gefunden hatte, sorgte sie dafür, dass es frisch gestimmt und zum Konzertsaal transportiert wurde. Nebenbei erfragte sie noch die Namen und Adressen der örtlichen Honoratioren und lud sie mit persönlichen Billetts ein.
»Konzertbesorgungen«, hatte Friedrich Wieck diese Tätigkeiten genannt, die Clara früher erspart geblieben waren. Nur die »Instrumentennot« hatte sie bisher ertragen müssen, wenn die Tasten eines Leihklaviers kaum zu »erdrücken« waren oder gar während des Spiels stecken blieben. Nun aber lasteten sämtliche Pflichten auf ihr und sie fragte sich, ob sie das alles während der ganzen Tournee würde aushalten können.
Zu allem Überfluss brach nach ein paar Tagen auch noch Tauwetter aus. Binnen weniger Stunden stand die halbe Stadt unter Wasser. Seit vierzig Jahren habe es eine solche Katastrophe hier nicht gegeben, wurde berichtet. Die Bewohner der tiefer liegenden Häuser flohen mit ihrer kostbarsten Habe die Anhöhe hinauf zu ihren Verwandten oder Freunden, während am Fuße der Steigung die jungen Leute in ihren Kähnen herumfuhren und johlten und sangen. Jeden Augenblick fiel einer ins Wasser und schuf sich so eine Erinnerung fürs Leben.
Clara besaß schon keine trockenen Schuhe mehr und ihre Rocksäume kräuselten sich. Dazu kam noch, dass sich die Französin ständig beklagte, wie unerträglich der Aufenthalt hier für sie sei. Dieses ganze Land sei eine einzige Zumutung. Man sei wie gefangen hier, und die Barbaren da unten in ihren Bötchen fänden das auch noch lustig. Übrigens sei sie in dieser finsteren Gaststube unten im feuchten Erdgeschoss gewesen und habe dort zu Abend gegessen. Natürlich gehe das auf Claras Kosten, nicht wahr? Der Mensch könne schließlich nicht ohne Speis und Trank leben.
Da warf Clara ihre Aktenmappe auf einen Stuhl, lief hinunter in die Küche und bestellte für die nächsten Tage ein – ausdrücklich! – einfaches Menu für die Französin. »Nichts à la carte, bitte sehr, und keine alkoholischen Getränke!«
Der Gastwirt blickte Clara zweifelnd an. »Und Sie, gnädiges Fräulein?« Es hatte sich bereits herumgesprochen, dass die geschäftige junge Dame eine berühmte Künstlerin war.
Clara schüttelte den Kopf. »Vielen Dank, ich habe keinen Hunger«, antwortete sie und ging hinauf zur Französin, die – o Wunder! – tatsächlich dabei war, den Saum von Claras Mantel zu säubern und zu bügeln. »Gut so!«, murmelte Clara und ließ sich aufs Bett fallen. Sie dachte, dass sie eigentlich noch einen Brief an Robert Schumann schreiben wollte, doch schon im selben Augenblick schlief sie ein. Sie merkte nicht einmal, dass ihr die Französin die Schuhe und das Kleid auszog und sie kopfschüttelnd zudeckte.
Ein Privatkonzert nach dem anderen, um in der Stadt bekannt zu werden und die wichtigen lokalen Persönlichkeiten davon zu überzeugen, dass es sich lohnte, Claras öffentliches Konzert zu besuchen. »Große Fische im kleinen Teich« hatte Friedrich Wieck sie genannt, die Bürgermeister, Notare, Apotheker und
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