Das Maedchen am Klavier
Ist das die Methode, mit der man deine Aufmerksamkeit weckt?«
Sie musste plötzlich an ihre Eltern denken und an deren ständige Auseinandersetzungen. Nichts wollte sie weniger, als diesem Beispiel zu folgen. Außerdem hatten sie und Robert Schumann doch nur so wenig Zeit! Was geschehen war, war geschehen, und er hatte oft genug versichert, dass ihm die Ehe heilig sei. So beschloss sie, ihm einfach zu verzeihen. Es war wie damals, als er auf dem Waldweg strauchelte und sie ihn warnte und auffing, nur dass das Auffangen jetzt darin bestand, dass sie ihm zuhörte und Mitleid mit ihm hatte.
»Eines möchte ich schon noch wissen«, sagte sie dann.
»Alles!«, versprach er. »Ich will nichts vor dir verbergen.«
Aber dann schwieg er doch, als sie ihn nach jener Christel fragte, die so blass gewesen war. Blass und krank, wie auch Robert Schumann damals blass und krank gewesen war.
»Blass und krank?«, fragte er zurück, um Zeit zu gewinnen. »Da musst du etwas falsch verstanden haben, Clara. Du warst damals doch noch ein Kind. Ich war nie blass und krank, und mit dieser Frau hat mich nichts Besonderes verbunden. Glaub mir, ich habe dir alles gestanden, was es zu gestehen gab. Von nun an beginnt ein neues Leben, in dem ich dir nur noch Gutes tun will. Kein Groll mehr wegen deines Vaters. Du hast bewiesen, dass du auf meiner Seite stehst. Von jetzt an kann uns nichts mehr auseinanderbringen.«
Noch lange gingen sie Seite an Seite durch die abendlichen Straßen. Die meiste Zeit schwiegen sie nun. Clara fiel auf, dass Robert Schumann sie nie gefragt hatte, ob sie denn auch etwas zu gestehen habe. Als sie die »Stadt Gotha« erreicht hatten, umarmte Robert Schumann sie kurz und küsste sie der Leute wegen nur freundschaftlich auf die Wange. Eine Weile sahen sie einander noch in die Augen. Dann wandte sich Clara zum Gehen. Sie zuckte jedoch zusammen, als sie plötzlich seine Stimme hörte, ängstlich und voller Sorge: »Glaubst du, dass dein Vater Nachforschungen anstellt, um mich zu vernichten?«, fragte er.
Clara blieb stehen. Selbst im Halbdunkel konnte sie sehen, wie blass er geworden war. Blass und krank!, dachte sie unwillkürlich. »Hast du denn etwas Ernsthaftes zu befürchten?«, fragte sie leise.
Da lächelte er plötzlich. »Aber nein, mein Clärchen!«, versicherte er. »Keine Sorge. Es war nur so ein dummer Gedanke.« Damit winkte er ihr zu und eilte davon.
»Bis morgen«, sagte Clara, obwohl sie wusste, dass er sie nicht mehr hören konnte.
2
Der 31. August 1839 war der Tag des gerichtlich angeordneten »Vereinigungsversuchs«, der unter geistlicher Anleitung ohne die Anwälte der beiden Parteien vorgenommen werden sollte. Auf diese Weise sollte der Konflikt auf eine familiäre Ebene zurückgeführt und so vielleicht entschärft werden.
Eine halbe Stunde zu früh standen Clara und Robert Schumann vor dem Pfarrhaus des Archidiakons Fischer. Beide waren aufgeregt – halb ängstlich, halb hoffnungsvoll. Clara konnte sich nicht vorstellen, dass ihr Vater bis zum Äußersten gehen und es tatsächlich auf ein Gerichtsverfahren ankommen lassen würde. Robert Schumann seinerseits fühlte sich erleichtert und bestärkt, weil ihm die Universität Jena für seine Verdienste als Komponist, Kritiker und Herausgeber die Ehrendoktorwürde verliehen hatte. Schon vor einem Jahr hatte er darum angesucht. Nun, gerade zur rechten Zeit, war ihm die Ernennung mitgeteilt worden.
Clara wusste, wie pünktlich ihr Vater seine Termine einhielt. So hoffte sie, vielleicht schon vor Beginn der Verhandlung mit ihm sprechen zu können und sich bei dieser Gelegenheit mit ihm zu versöhnen. Auch sie zählte auf seine Eitelkeit. Dass sich sein künftiger Schwiegersohn nun mit einem ehrenvollen akademischen Titel schmücken konnte, würde ihm wahrscheinlich gefallen. Außerdem rechnete Clara mit seiner Vaterliebe. So langewaren sie getrennt gewesen. Wenn er sah, wie hübsch sie war und wie sehr sie trotz allem an ihm hing, würde er hoffentlich nachgeben. Danach konnte die Hochzeit noch im September stattfinden und Clara konnte nach Paris zurückkehren, um ihr Dezemberkonzert vorzubereiten. Diesmal würde auch ihr Ehemann dabei sein, um die Aufmerksamkeit des Pariser Publikums auf sich und sein Werk zu lenken.
So viel Hoffnung, während sie den Schatten der mächtigen Kastanie suchten, weil die Mittagssonne so unbarmherzig auf sie niederbrannte. »Alles wird gut«, sagte Clara leise und griff nach der Hand ihres Verlobten. Er nickte,
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