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Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Marschner
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Abweisend. Verächtlich. Unversöhnlich. Am liebsten hätte sie ihr Vorhaben aufgegeben. Dann aber dachte sie, dass ihre Vermutungen vielleicht nur Hirngespinste waren und Friedrich Wieck ebenso schmerzlich wie sie selbst an dem Zerwürfnis litt und es beenden wollte. Indem er den Sühnetermin verstreichen ließ, hatte er noch einmal seine Macht gezeigt. Nun aber war es genug undschließlich war sie es, die vor seiner Tür stand und ihren Willen zur Versöhnung zeigte. Sie gab nach, wenn auch nicht in der Sache. Trotzdem würde er sein Gesicht nicht verlieren, wenn er sie wieder aufnahm.
    So trat sie nochmals an das Tor. Doch noch während sie die Hand hob, wurde es von innen geöffnet. Einen Spaltbreit nur. Vor Clara stand ein sehr junges Mädchen, das sie nicht kannte. Ein neues Dienstmädchen wahrscheinlich, kräftig und mit roten Backen. Das weiße Servierschürzchen hing ein wenig schief und um das Gesicht kringelten sich unbändige Löckchen. Doch Clementine würde schon dafür sorgen, dass diese kleinen Unvollkommenheiten bald ausgemerzt wurden.
    »Guten Tag«, grüßte das Mädchen und knickste linkisch. »Die Herrschaften sind nicht zu sprechen, soll ich sagen.«
    Clara ging nicht darauf ein, sondern versuchte, das Tor aufzudrücken. Das Mädchen aber hielt dagegen und zeigte dabei erstaunlichen Einsatz. Clara wollte es nicht auf eine Kraftprobe ankommen lassen. »Melde mich bei Herrn Wieck!«, befahl sie mit harter Stimme. »Sag ihm, seine Tochter möchte ihn sprechen.«
    Das Mädchen starrte sie verwirrt an.
    »Geh!«, beharrte Clara.
    Das Mädchen warf das Tor ins Schloss und drehte von innen den Schlüssel um. Clara blieb draußen stehen. Erst jetzt merkte sie wieder, wie kalt ihr war. Ein Windstoß fegte durch die Straße und trieb ein paar Zeitungsblätter vor sich her.
    Es dauerte lange, bis das Mädchen zurückkam. Clara hatte bereits überlegt, ob sie ein zweites Mal klopfen oder doch lieber aufgeben sollte. »Der gnädige Herr sagt, er hat nur zwei kleine Töchter, und die sind beide im Haus. Eine dritte Tochter hat er nicht, und er weiß nicht, wer Sie sind.«
    Clara dachte, dass das Mädchen ganz sicher vom Land kam und die Verhältnisse im Hause noch nicht kannte. Vielleicht hielt sie Clara sogar für eine Verrückte und hatte Angst vor ihr. Trotzdem wollte Clara nicht zu schnell aufgeben. »Sag Herrn Wieck, seine Tochter Clara ist gekommen, um ihre Winterkleiderabzuholen. Wenn er nicht mit mir reden will – auch gut. Aber meine Sachen gehören mir und die brauche ich jetzt.« Wieder versuchte Clara, die Tür aufzudrücken, doch das Mädchen war bereits auf der Hut. Dann fiel die Tür abermals ins Schloss. Clara blieb draußen, vor Kälte zitternd, aber auch vor Zorn. Noch nie hatte sie sich so gedemütigt gefühlt und erst jetzt begriff sie, dass sie ihren Vater verloren hatte.
    Trotzdem wartete sie noch lange. Zu lange, als dass man noch ein Zeichen von drinnen erwarten konnte. Für Friedrich Wieck war anscheinend alles geregelt. Schließlich hatte er ihr in seinem Schreiben ja angeboten, ihren Besitz für Geld einzulösen. Geld. Darum ging es jetzt wohl nur noch zwischen ihnen. War es eigentlich jemals anders gewesen?
    Sein Clärchen hatte er sie genannt. Sein gepanzertes Mädchen. Seinen kleinen Russen. Das Zimmer hatten sie unterwegs geteilt und eigentlich ihr Leben. Sie hatten sich über das Gleiche gefreut und über das Gleiche geärgert. Irgendwie war jeder von ihnen unperfekt ohne den anderen. Doppelgänger waren sie gewesen, auch wenn Friedrich Wieck diesen Gedanken immer gehasst hatte. Doppelgänger würden ohne einander nicht glücklich, hatte er behauptet, doch wenn sie beieinander seien, raubten sie einander den Atem.
    Sie ging fort aus der Grimmaischen Gasse und wanderte erst noch lange durch die Straßen von Leipzig, das ihre Heimatstadt war und das ihr auf einmal fremder vorkam als der fernste Ort. Dann ging sie zu dem Haus, das Robert Schumanns Verleger Friese gehörte und wo sie derzeit wohnte, weil sie keinen einzigen Platz mehr hatte, der ihr selbst gehörte. Nicht einmal bei Robert Schumann konnte sie bleiben, weil sie ja keinen Anstoß erregen durften. Dabei hing ihr Bild in seinem Zimmer, neben den Porträts von Bach und Beethoven. Für Claras Bild war Platz, doch für Clara selbst nicht. Vor dem Gesetz mochte Robert Schumann recht haben, dachte Clara, doch was interessierte sie das Gesetz, wenn sie fror und nicht mehr wusste, wohin sie gehörte? Leander brachte Hero bei

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