Das Maedchen am Klavier
»Unser Künstlerrefugium«, erklärte der Hotelier. »Wissen Sie noch? Hier haben Sie früher auch schon gespielt. Derzeit beansprucht es sonst niemand. Ich kann Ihnen deshalb entgegenkommen. Es freut mich, dass ich behilflich sein kann.«
Es sprach sich herum, dass Clara in der Stadt war. Sie hatte damit gerechnet, wie früher tagelang Besuche machen zu müssen, damit sie zu den wichtigen Soireen eingeladen wurde. Diesmal aber war es anders. Ihr Name war nicht allein durch ihre Kunst im Gespräch, sondern vor allem durch den unglücklichen Verlauf ihrer Beziehung zu Robert Schumann. Nicht nur Musikliebhaber kannten sie nun, sondern Leute auf der Straße sprachen sie an und wünschten ihr Glück.
Das Wunderkind von einst spielte keine Rolle mehr. Alle Welt aber kannte Clara Wieck, das schöne Mädchen mit dem blauschwarzen Haar und den dunklen Augen, das Klavier spielen konnte wie eine Göttin und das dennoch so unglücklich war, dass man nur Mitleid haben konnte.
Jahrelang, erzählte man, habe ihr Vater sie durchs Land gezerrt, um mit ihrer genialen Begabung Geld zu verdienen. Stets habe sie ihm gehorcht. Dann aber habe sie sich in einen bezaubernden jungen Mann verliebt: den Komponisten Robert Schumann, von dem die Musikwelt noch viel zu erwarten habe. Scheu und doch mutig hätten sich die beiden zu ihrer Liebe bekannt und den Segen des Vaters erbeten. Jener aber habe die Tochter grausam verstoßen, dass sie allein in die Welt ziehen musste. Bis nach Paris habe es sie verschlagen. Dort aber machte sie ihr Glück. An der Seite der größten Musiker stehe sie nun und sei doch eigentlich nur eine liebende Frau.
Clara konnte kaum glauben, was alles über sie erzählt und geschrieben wurde. Erst jetzt begriff sie, dass vielleicht auch an den Berichten über den wilden Lebenswandel der Camilla Moke, ihrer Vorgängerin als Wunderkind, nicht alles der Wahrheit entsprach.
Erst nach und nach kam Clara zu Bewusstsein, dass sie vielleicht noch Glück im Unglück gehabt hatte. Immerhin war die öffentliche Meinung auf ihrer Seite. Wohin sie auch kam, empfing man sie voller Fürsorge und mit der Bereitschaft, ihr zu helfen. Die Konzertbesorgungen früherer Tage waren nicht mehr erforderlich.
Schon Anfang Oktober konzertierte sie über eine Woche jeden Abend im Schauspielhaus. Sie tat dies gemeinsam mit dem Geiger Carl Müller, der zurzeit äußerst beliebt war. Während des Jahres, in dem sich Clara in Paris aufgehalten hatte, hatte er sich einen guten Ruf als Künstler erworben. Gemeinsam rissen sie nun das Berliner Publikum zu Beifallsstürmen hin: zwei schöne junge Menschen, Kinder der Musik, die es beide verstanden, nicht nur mit ihrer Kunst zu betören, sondern auch mit ihrer hingebungsvollen Präsentation. Man hörte ihnen nicht nur begeistert zu, sondern auch das Auge erfreute sich und die Seele schwang mit.
Binnen kurzer Zeit setzte eine schwärmerische Verklärung ein. »Als ich Clara Wieck zum ersten Mal sah und spielen hörte, meinte ich, ich müsse sie schon einmal vor mehr als tausend Jahren gesehen haben«, notierte der Schriftsteller Becker und rühmte »diesen Blick des seelenvollen Auges, begleitet von den wunderbaren Klängen, die sie dem Instrument entlockte«.
Clara schmunzelte ein wenig, als sie diese Zeilen las, doch sie jubelte auf, als ihr Carl Müller einen Artikel brachte, in dem Robert Schumann in seiner Zeitschrift über sie schrieb: »Zilia hielt vier leise Mondscheinakkorde aus. Alle horchten aufmerksam. Auf dem Flügel lag aber ein Rosenzweig, der von der Erschütterung nach und nach in die Tasten geglitten war. Wie nun Zilia nach dem Basston haschte, berührte sie ihn zu heftig und hielt inne, weil der Finger blutete.«
Der liebe, liebe Robert!, dachte sie. Es tat ihr wohl, dass er auf so romantische Weise über sie schrieb. Andererseits aber machte es sie beklommen, weil sie – wie so oft – das Gefühl hatte, seine schwärmerische Liebe gelte eigentlich gar nicht ihr selbst, sondern einem Idealbild, das er brauchte, um sich zu inspirieren.Von »Erlen und Trauerweiden« schwärmte er, »die ihre melancholischen Schatten ausstreckten. Mittendrin aber wogte ein strahlendes Mädchenantlitz und suchte sich Blumen zum Kranz.«
Wie schön ist das alles, dachte Clara. Wie erhaben ... Damit legte sie die Zeitschrift beiseite. Ahnte ihr lieber, lieber Robert denn immer noch nicht, dass sie sich – viel mehr als die goldenen Worte – gewünscht hätte, nicht nur angebetet, sondern richtig
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