Das Maedchen am Klavier
endlich wieder in Ruhe meine Arbeit tun und nicht nur mit ansehen, wie meine Zeit verrinnt.« In den letzten Wochen wurde sie immer häufiger von der Befürchtung gequält, sie vergeude ihre Jugend. Ihre besten Jahre, wie es so hieß.
Pfarrer Fischer erhob sich. »Der nächste Termin wird wahrscheinlich schon vor dem Appellationsgericht stattfinden«, erklärte er sachlich. »Den muss Ihr Vater dann einhalten.« Er reichte Clara die Hand. »Ich wünsche Ihnen jedenfalls alles Gute, Fräulein Wieck. Aber machen Sie sich lieber keine Hoffnung, dass alles so schnell geht, wie Sie es möchten. Nicht nur Gottes Mühlen mahlen langsam.« Er verabschiedete sich noch von Robert Schumann. Dann waren sie entlassen.
Niedergeschlagen und wortlos traten sie hinaus in die Mittagssonne, so blendend hell nach dem Halbdunkel der Pfarrbibliothek, dass sie den Kopf senkten, um ihre Augen zu schützen.Für einen Romantiker, der das Materielle verachtete, beschäftigte sich Robert Schumann recht zielstrebig mit der finanziellen Absicherung seines Ehestandes. Vor allem Friedrich Wiecks Weigerung, Clara ihr Capital auszuzahlen, versetzte ihn in hellen Zorn. Am liebsten wäre er schnurstracks in die Grimmaische Gasse gestürmt und hätte seinem einstigen Lehrer das Geld mit Gewalt entrissen. Dabei wusste er natürlich, das das umstrittene Capital nicht in irgendwelchen Geldkassetten ruhte, sondern ganz bestimmt geschickt und gewinnbringend angelegt worden war. Die Verfügungsgewalt darüber lag jedoch nicht bei der eigentlichen – unmündigen – Besitzerin, sondern bei ihrem Vater, der das Gesetz auf seiner Seite wusste und sich dafür rächte, dass sein einstiges Wunderkind plötzlich eigener Wege gehen wollte. »Wir müssen dein Capital einklagen!«, rief Robert Schumann und schlug auf den Tisch. »Du hast es verdient. Es gehört dir.«
Clara schwieg. »Natürlich gehört es mir«, antwortete sie dann. »Aber weißt du, was ein solcher Prozess kostet? Am Ende bleibt alles nur bei den Anwälten hängen und beim Gericht. Und kannst du dir vorstellen, wie lange dieser Streit dauern würde? Bis dahin wäre ich längst verhungert.«
Der nahen Zukunft galt ihre größte Sorge. Ganz fest hatte sie mit den Einkünften aus dem Konzert im Conservatoire gerechnet und mit dem Gewinn aus einer nachfolgenden Tournee nach England oder zumindest nach Belgien und Holland. Mit jedem Tag, der verstrich, wurde es aber unwahrscheinlicher, dass sie Deutschland in diesem Jahr noch verlassen konnte. Dabei zehrte sie bereits von ihrer eisernen Reserve. Das Leben in Paris war teuer gewesen. Dazu kamen noch die Kosten für die Reise und für ihren gegenwärtigen Unterhalt. Noch reichten ihre Mittel, doch es war höchste Zeit, dass sie hinzuverdiente.
Auf keinen Fall wollte sie von Robert Schumann abhängig sein. Sie wollte nicht einmal, dass er von ihren Sorgen überhaupt erfuhr. Sie litt bereits genug darunter, dass sie keine Aussteuer vorweisen konnte, wie es für jedes bürgerliche Mädchen dochselbstverständlich war. Allein schon deshalb hätte ihr der Vater ihr Capital zumindest teilweise auszahlen müssen, dachte sie. Doch darum ging es ihm ja wohl: ihr zu beweisen, dass sie ohne ihn kein Leben in Würde führen konnte und dass es Robert Schumann vor allem auf die Früchte ihres Talents abgesehen hatte.
Der Sommer ging zu Ende. In den Nächten war es bereits empfindlich kalt. Die dünnen Jäckchen und Schals, die Clara aus Paris mitgebracht hatte, reichten nicht mehr aus. Wenn sie frierend durch die Straßen ging, dachte sie voll Sehnsucht an ihre warmen Wintersachen, die sie nun bald brauchen würde und die immer noch in ihrem Schrank in der Grimmaischen Gasse hingen. Die Garderobe vom vergangenen Winter hatte sie bei den Lists deponiert, als sie noch meinte, sie würde vor der kalten Jahreszeit nach Frankreich zurückkehren. Doch auch was sich von früher noch in ihrem Elternhaus befand, würde ausreichen, sie ohne zusätzliche Kosten bequem über die Wintermonate zu bringen.
Sie wusste selbst nicht, wie es geschehen war, dass sie plötzlich vor ihrem Elternhaus stand. Noch ganz in Gedanken und ohne auf ihre Umgebung zu achten, war sie um eine Ecke gebogen und merkte erst jetzt, wohin sie geraten war. Wie gebannt blieb sie stehen und starrte auf das schöne, gepflegte Gebäude, das seit ihrer Kindheit Fixpunkt und Anlaufstelle ihres Lebens gewesen war. Nie hatte sie es vermisst, wenn sie fort war. Eigentlich hatte sie es nie wirklich beachtet. Von
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