Das Maedchen am Klavier
und den Angriffen der Eheleute Friese, die Friedrich Wieck abwechselnd einen Wahnsinnigen nannten oder einen Besessenen.
Trotzdem – so entnahm Clara dem Gespräch – war man in Leipzig durchaus nicht nur aufseiten des Liebespaars. Wo käme man hin, sagten sich anscheinend viele, wenn alle Töchter zum Kadi liefen, wenn ihnen eine Entscheidung ihres Vaters nicht in den Kram passte? Darum gab es doch Gesetze, damit Väter ihre verblendeten Töchter vor einer Dummheit bewahren konnten. Denn – einmal ehrlich! – den allerbesten Ruf hatte der unerwünschte Verlobte ja nun auch nicht gerade. So mancher Leipziger Bürger hatte ihn des Abends schon im »Kaffeebaum« am Biertisch beobachten können, wenn seine Augen immer glasiger wurden und er dann zu später Stunde auf unsicheren Beinen nach Hause stolperte. Man konnte es Friedrich Wieck nicht verdenken, dass er sich einen anderen Schwiegersohn wünschte.Als Clara und Robert Schumann an einem nebligen Dezembermorgen den Gerichtssaal betraten, waren sie froh, dass ihr Anwalt Dr. Einert die Führung übernahm. Er wusste, wohin sie sich zu setzen hatten, und vermittelte ihnen das beruhigende Gefühl, im wahrsten Sinne des Wortes verteidigt zu werden. Vor allem Robert Schumann betrachtete den drahtigen jungen Mann mit der kalten Stimme als eine Art juristischen Arzt. Die Frieses hatten Clara besorgt erzählt, dass er den Verteidiger fast jeden Tag aufsuche und ihn als einen Freund ansehe, während jener sich jede Gesprächsminute bezahlen lasse.
Dann erschien Friedrich Wieck. Schon bevor er eintrat, hörte Clara seine festen, unerbittlichen Schritte, die draußen auf dem Steinboden widerhallten. Clara stockte der Atem. Sie legte die Hand auf ihre Brust, als könnte sie damit ihr Herzklopfen beruhigen. Sie starrte zur Tür, wie auch Robert Schumann, dessen Hände wie verängstigte kleine Tiere auf dem Tisch lagen und immer wieder zuckten.
Friedrich Wieck betrat den Gerichtssaal, sein Blick entschlossen und scharf wie der eines Raubvogels. Nur Clara bemerkte, dass er seine Augenbrauen nicht wie sonst gebürstet und mit Wasser oder Schmalz in Form gebracht hatte. Der Gerichtsdiener wies ihm seinen Platz zu. Friedrich Wieck setzte sich und öffnete seine Aktentasche. Mit einer brüsken Bewegung warf er einen Packen Papiere auf den Tisch. Dann schloss er die Tasche wieder. Clara hörte, wie das Schloss einschnappte. Ihr war, als würde jede Geste ihres Vaters von einem jeweils typischen Geräusch begleitet, das sich auf einem Musikinstrument nachempfinden ließe. Hätte man ihr jetzt ein Klavier hingestellt, hätte sie die ganze Situation in Klängen nachzeichnen können. Noch nie war ihr so bewusst geworden, wie sehr ihre Welt eine Welt des Hörens war.
Das erste Wort hatten die Kläger. Dr. Einert äußerte stellvertretend – wie schon zweimal zuvor –, dass Herr Friedrich Wieck aus bloßem persönlichem Widerwillen die Verbindung seiner Tochter mit Dr. Robert Schumann verbiete. Danach folgte eine lobende Aufzählung der Vorzüge des Klägers und eine detaillierteListe seiner Einkünfte, die man als zufriedenstellend bezeichnen könne.
Schon während der Rede des Anwalts tat Friedrich Wieck immer wieder sein Missfallen an dessen Äußerungen kund. Er schüttelte heftig den Kopf und murmelte vor sich hin. Einmal lachte er höhnisch auf und rief dann sogar: »Das glauben Sie doch selbst nicht, Herr Anwalt!«
Clara wagte kaum, ihn anzuschauen. Das Herz tat ihr weh, ihn in einer solchen Verfassung zu sehen. Am liebsten wäre sie zu ihm hingeeilt, um ihn zu beruhigen. Wenn nötig sogar, indem sie ihre Klage zurückzog.
Doch die Verhandlung lief weiter. Friedrich Wieck kam an die Reihe. Er hatte auf einen Anwalt verzichtet, »da sich in diesem Staat die Gerechtigkeit auch ohne einen Advokaten durchsetzen wird«. Dann erläuterte er in einer schier endlosen Rede seine Ansichten über Robert Schumann – doch nicht nur über ihn, sondern auch über Clara, seine »leidenschaftliche und verblendete Tochter«. Sie habe ihre Pflicht gegen ihren Vater vergessen, der ihr seine schönste Lebenszeit und den größten Teil seines Vermögens zum Opfer gebracht habe – dies unter Zurücksetzung seiner übrigen Familie. Übrigens sei seine Tochter schon immer schwer zu erziehen gewesen.
Clara traute ihren Ohren kaum, als ihr Vater Carl Banck erwähnte, den er ihr auch habe verbieten müssen, weil sie damals fast noch ein Kind war und doch schon frühreif. Danach setzte er zu weiteren
Weitere Kostenlose Bücher