Das Maedchen am Klavier
seinen Ansprüchen nicht gerecht. Sie waren ja auch schon einige Jahre älter und deshalb weniger formbar als Clara in jener glücklichen Zeit, als er sie auf den Schoß genommen und ihre gespreizten Fingerchen auf die Tasten gedrückt hatte. Sogar mit seinen beiden eigenen kleinen Töchtern versuchte er es, doch die gerieten musikalisch nach ihrer Mutter und spielten lieber mit Puppen als auf dem Klavier.
Zur gleichen Zeit trafen Nachrichten ein, Clara werde in Berlin auf Händen getragen. Sie habe ihr Repertoire geändert und beschäftige sich immer mehr mit Bach und Beethoven. Immer weniger spiele sie die kurzen Bravourstücke, auf deren Erfolg sich Friedrich Wieck stets verlassen hatte. Stattdessen trete sie häufig mit einem vollen Orchester auf und jedes dieser Konzerte sei ein musikalischer Genuss.
Friedrich Wieck raufte sich die Haare. Er hatte große Klavierkonzerte immer vernachlässigt – vor allem, weil er die Kosten für ein Orchester scheute. Es war billiger und organisatorischbequemer gewesen, Clara solo spielen zu lassen. Auch dann waren die Säle stets voll gewesen und die Einnahmen blieben allein in Wieck’scher Hand.
Nun aber las er auf einmal, Clara spiele die großen Klavierkonzerte von Mozart, Beethoven und Mendelssohn. Dabei kam ihr sicher entgegen, dass sich die Konzertlandschaft in den Metropolen verändert hatte. Noch vor wenigen Jahren hatten Solisten wie Clara aus eigener Initiative die Orchestermusiker engagiert. Inzwischen aber hatten sich viele dieser Musiker zu festen Ensembles zusammengeschlossen, die von Vereinen oder Gemeinden unterstützt wurden und nun ihrerseits die Solisten verpflichteten. Dadurch sicherten sie sich ab und erleichterten zugleich auch das Leben der Solisten, die nun darauf zählen konnten, mit einem geübten, aufeinander eingespielten Klangkörper aufzutreten, den sie nicht erst selbst mühevoll zusammenstellen mussten.
Friedrich Wieck war gezeichnet von Eifersucht, Neid und Schmerz. Seine Lebensaufgabe war ihm gestohlen worden. Er hatte ein Kunstwerk geschaffen und nun wurde er nicht mehr gebraucht. Der Mohr hatte seine Schuldigkeit getan und konnte gehen. Die Musikwelt liebte Clara Wieck und vergaß ihren Schöpfer. Friedrich Wieck spürte selbst, dass die tiefe Wunde in seinem Innern in Wahrheit nicht allein daher rührte, dass seine Tochter einen Mann heiraten wollte, der dem Vater nicht gut genug erschien. Die wahre Qual war entstanden, weil ein Band zerrissen war, das Friedrich Wieck für unzerstörbar und ewig gehalten hatte. Ein Doppelgänger hatte dem anderen den Zusammenhalt aufgekündigt und damit dessen Lebenskraft bedroht. Robert Schumann? – Pah! – Was bedeutete er schon im Vergleich dazu, dass Clara nun allein auf der Bühne stand und der Applaus sie umtoste, während sich ihr Vater daheim in Leipzig die Wangen hielt vor lauter Schmerzen des Verlassenseins.
Trauer, Verzweiflung und Durst nach Rache. Friedrich Wieck und Clara hatten immer schon mit leiser Sorge auf die PianistinCamilla Moke geblickt, das einstige Wunderkind, das den Komponisten Berlioz fast vernichtet hatte und das von der Mutter in eine lukrative Ehe getrieben worden war. Inzwischen hatte sich »die Moke« befreit. Sie zog von Stadt zu Stadt, feierte rauschende Erfolge und scherte sich weder um bürgerliche Moral noch um das Gerede, das sie wie ein vielstimmiger Chor umbrauste. Sie nahm sich vom Leben, was ihr gefiel, ohne Scham oder Gewissensbisse. Sie verführte und verließ, lächelnd und achselzuckend, und das Publikum vergötterte sie dafür, weil sie bei aller Rücksichtslosigkeit liebenswürdig und ohne Bosheit war.
Camilla Moke war acht Jahre älter als Clara, die inzwischen ebenfalls erwachsen geworden war und nun auf derselben Ebene agierte. Friedrich Wieck wusste, dass Clara die bedeutendere Pianistin war, virtuoser und perfekter vor allem. Ebenso wusste er aber noch von früher, dass Clara »die Moke« fürchtete. Er selbst hatte sie immer wieder auf ihre Rivalinnen hingewiesen, um ihren Fleiß und ihren Ehrgeiz anzustacheln.
Wie tief Friedrich Wieck seiner Tochter grollte! Als Camilla Moke in Leipzig konzertierte, besuchte er sie und legte ihr seine Verehrung zu Füßen. Charmant wie schon lange nicht mehr plauderte er mit ihr und am Abend, beim Konzert, stand er wie ein verschämter Bewunderer an ihrem Klavier und blätterte ihre Noten um. Das Publikum konnte kaum fassen, was es sah. Die meisten aber verstanden, dass es hier nicht um die Huldigung eines
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