Das Maedchen am Klavier
fest und gesund sächsisch in die Arme genommen zu werden? Gedrückt zu werden, geküsst zu werden und alles das, worüber sie längst Bescheid wusste, aber immer nur vom Hörensagen!
»Männer wollen von der Reinheit ihrer Gattin schwärmen«, hatte Robert Schumann einmal gesagt. Clara aber fragte sich, ob das wohl auf alle Männer zutreffen mochte, und ob wirklich alle Frauen auf diese Art der Schwärmerei Wert legten.
2
Inzwischen unternahm Friedrich Wieck alles, um den Rechtsstreit in die Länge zu ziehen. »Wenn er so weitermacht, wird das Verfahren eingestellt, weil du inzwischen volljährig geworden bist«, schrieb Robert Schumann verbittert, als Friedrich Wieck den Sühnetermin im Oktober eine Woche vorher absagte. Eine Aussöhnung sei ohnedies nicht möglich.
Zugleich erhob er in aller Öffentlichkeit hasserfüllte Anschuldigungen gegen seinen »Möchtegern-Schwiegersohn«. Dabei begnügte er sich nicht damit, im Freundeskreis gegen Robert Schumann zu hetzen, sondern er versandte auch lithografierte Briefe an Musikkenner in ganz Deutschland. Darin prangerte er Robert Schumanns Unzuverlässigkeit an, seine Charakterschwäche und seine mangelhafte musikalische Ausbildung.
Robert Schumann litt unter den ständigen Angriffen. »Er versucht, mich zu ruinieren«, klagte er in seinen Briefen an Clara. »Am liebsten sähe er mich tot.«Mit jedem Brief schien seine Niedergeschlagenheit zuzunehmen. Doch nach Phasen, in denen ersich kaum noch bewegte, folgten andere, in denen er, fast ohne zu schlafen, wie ein Besessener komponierte. »Hundertachtundzwanzig Lieder in wenigen Wochen!«, zählte er auf. »Eine wahre Liederpassion hat mich erfasst!«
Clara war erleichtert, dass er wieder arbeitete. Trotzdem antwortete sie ihm besorgt, er solle sich nicht im Kleinen verzetteln, sondern lieber eine einzelne, wirklich große Komposition schaffen, die ihn berühmt machen werde.
»Die plane ich doch längst«, antwortete er und schwärmte ihr von einem umfassenden, wunderbaren Werk vor, das er »Frühlingssymphonie« nennen wolle. Mit dieser Komposition werde er beweisen, dass ihm ein Platz ganz oben auf dem Olymp der Musik zustehe.
Clara atmete auf. »Nur zu, mein geliebter Robert!«, ermunterte sie ihn. Doch da schrieb er schon wieder zurück, dass ihn Friedrich Wieck auf offener Straße beleidigt habe und dass er seither nicht mehr schlafen könne. Außerdem leide er unter akustischen Täuschungen. »Ich höre ständig Musik«, klagte er. »Ewige, peinigende Musik, so laut, dass mir der Kopf davon zerplatzt.«
So quälend wurde es, dass er am liebsten seinem Leben ein Ende bereitet hätte: »Da kommen die finsteren Stunden, wo man das Leben von sich werfen möchte. Da kommt die Menschenscheu, die Dumpfheit, der Hass. Dagegen hilft nichts. Nicht einmal beten.«
Je öfter solche Briefe eintrafen, umso unruhiger wurde Clara. Keine Stunde verging, in der sie nicht voller Sorge an ihn dachte. Am liebsten wäre sie in die nächste Postkutsche nach Leipzig gestiegen. Doch die Vernunft sagte ihr, dass sie ihm jetzt nicht helfen konnte, weil er ihr verbieten würde, bei ihm zu bleiben.
So harrte sie in Berlin aus und reiste erst im Dezember nach Leipzig, um an der Verhandlung des Appellationsgerichts teilzunehmen.
Wenn je ein Streit einen kaum noch erträglichen Höhepunkt erreichte, dann dieser. Während Clara insgeheim noch immer aufeine Versöhnung hoffte, verschickte Friedrich Wieck eine zweite Runde Hassbriefe gegen Robert Schumann. Als das Gericht zusammentrat, berichtete die Presse bereits landesweit über den Kampf zwischen Vater und Bräutigam. »Wir sind Stadtgespräch«, hatte Robert Schumann noch vor einer Woche geklagt. Inzwischen aber waren sie zum nationalen Gesprächsthema geworden. Sogar in Paris berichtete man über den Zwist der verehrten jungen Pianistin mit ihrem Vater. Emilie List schrieb einen langen Brief an Clara, der verschmiert war von Tränen. Ihr Bruder Oskar sei in Afrika gefallen, berichtete sie. Die Familie sei untröstlich. Trotzdem sei sie selbst in Gedanken bei Clara, ihrer allerallerbesten Freundin. »Wie kommt es, dass wir nun beide so viel Schweres erleiden müssen?«, fragte sie, da ihr der Schmerz um den Verlust des Bruders fast das Herz abdrückte.
Clara beantwortete den Brief nicht. Die Ereignisse hatten sie in einen dumpfen Zustand der Trägheit versetzt, als wolle sie zum Selbstschutz nichts mehr an sich heranlassen. Den Kopf gesenkt, hörte sie den Klagen ihres Verlobten zu
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