Das Maedchen am Klavier
Schwermut, die ihn selbst bedrückte, die gleichen Nachtgedanken, die er mit seinem Tatendrang zu ersticken versuchte. Als sie sich mit siebenundzwanzig Jahren das Leben nahm, fühlte er sich, als wäre er selbst gestorben. Ohne ein Wort der Klage kehrte er an seinen Schreibtisch zurück und arbeitete besessen weiter wie zuvor. Zu Ehren seiner toten Tochter übersetzte er die Werke Byrons, den sie geliebt hatte, ins Deutsche. Danach war sein Lebenswerk beendet. Er legte die Feder beiseite und gab sich auf. Mit erst dreiundfünfzig Jahren starb er an Tuberkulose.
Sein Sohn Robert ging damals noch aufs Gymnasium. Was ihm blieb, war die Bibliothek seines Vaters, die ihresgleichen suchte, und ein unauslöschliches Vorbild an Fleiß. Selbst in seinen scheinbar nachlässigsten und erfolglosesten Universitätsjahren war er unermüdlich tätig – wenn auch nicht für sein eigentliches Studium. Als er es abbrach, war er realistisch genug zu wissen, dass eine Laufbahn als Pianist und Komponist beim musikalischen Handwerk beginnen musste: Harmonielehre, Generalbass, Kontrapunkt und tägliches Üben, Üben, Üben. Stundenlang Czerny anstelle von Mozart und Schubert. Wieck’sche Foltermethoden: Oh, wie Robert Schumann sie kannte aus der Zeit, als er in Leipzig sein Paragraphenstudium begonnen hatte, obwohl er in Wirklichkeit nur an der Musik interessiert war.
Damals hatte es an seiner Eitelkeit gekratzt, dass ihn die kleine Tochter seines Lehrers in allem, was mit Klavierspiel zu tun hatte, übertraf. Allen anderen Schülern des Logier’schen Instituts konnte er mit Verachtung begegnen. Wochenlang mussten sie üben, bis sie ein Musikstück halbwegs auswendig wiedergeben konnten, während er es sich schon nach den ersten paar Malen merkte. Wäre Clara nicht gewesen, hätte er sich ohne jeden Selbstzweifel für ein Genie gehalten. Ihr Talent aber brachte ihn immer wieder schmerzhaft auf den Boden zurück. Ein zartes Mädchen, dessen Finger kräftiger waren als die seinen und – vor allem – dessen schwarzhaariges Köpfchen die Töne mindestens so schnell und sicher speicherte wie er selbst. Als Erwachsenermochte er einem Kind überlegen sein. Wenn sie aber nebeneinander am Klavier saßen, waren sie nicht nur gleichberechtigt, nein, dann übertraf das kleine Mädchen Clara den künftigen König der Konzertsäle bei weitem.
Mehrere Jahre waren seither vergangen. Heidelberg und die trockene Jurisprudenz lagen hinter Robert Schumann, als hätte es sie nie gegeben. Um sich zu vervollkommnen, kehrte er nun ins Wieck’sche Institut nach Leipzig zurück, um danach die Mendelssohns, Liszts und Chopins das Fürchten zu lehren – selbst wenn er jetzt noch in den Augen der Welt ein verkrachter Student war, der vom Erbe seines Vaters lebte, als gebe es keine Zukunft, für die vorgesorgt werden musste. Einer, der daran glaubte, dass sein Talent Kapital genug war, um ihn bis ins hohe Alter zu ernähren. Doch Bedenken daran äußerten nur die anderen. Robert Schumann selbst war überzeugt, dass ihn nichts mehr aufhalten konnte, da man ihn endlich seinen vom Schicksal vorbestimmten Weg gehen ließ. Die Welt gehörte ihm und er selbst der Welt, wie es einem Genie zukam.
3
Wie mit einem Paukenschlag brach der neue Hausgast in das Leben der Familie ein. Von dem Augenblick an, in dem er mit Hilfe des Türklopfers Einlass begehrte, schien er damit zu rechnen, dass sich fortan alles um ihn drehen würde. Dabei verhielt er sich keineswegs aufdringlich oder unhöflich. Seine Stimme klang sanft und war so leise, dass man oftmals sogar Mühe hatte, ihn zu verstehen. Gerade dadurch aber erreichte er, dass man ihm zuhörte.
Nachdem man über eine Stunde vergeblich auf den Gast gewartet hatte, hatte die Familie das Abendessen gerade beendet. Jetzt stand er in der Tür, hoch gewachsen, im eleganten Gehrock, die dunklen, welligen Haare vom Wind leicht zerzaust. Langsam trat er ein. Mit einer beiläufigen Handbewegung wies erden Diener August auf das Gepäck hin. Dann wandte er sich an Clementine. Er verneigte sich tief und reichte ihr eine Schachtel mit Pralinen, die mit einer breiten rosafarbenen Seidenschleife geschmückt war. »Madame«, sagte er in ehrerbietigem Ton. »Ich danke Ihnen für Ihre Gastfreundschaft und hoffe, Ihnen niemals zur Last zu fallen.«
Clementine errötete und nahm das Präsent entgegen. Sie suchte nach Worten, doch Friedrich Wieck kam ihr zuvor. »Von wegen Gastfreundschaft, mein lieber Schumann«, sagte er mit seiner
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