Das Maedchen am Klavier
ihn nicht zu sehr ermutigen. Tadel führte weiter, doch Lob verwöhnte nur. »Klingt ziemlich nach Schubert«, brummte er, als Robert Schumann die Hände von den Tasten hob und ihn fragendanblickte. »Dazu muss ich sagen, dass ich Schubert nicht besonders schätze.«
Robert Schumann ließ sich nicht beirren. »Ich schon«, sagte er leise. »Sein Tod hat mich tief getroffen.«
Friedrich Wieck zögerte. Ein Schüler, der gleich bei der ersten Begegnung widersprach, war in diesem Hause nicht vorgesehen. Doch begabt war er, unbestritten. Und: sollte er sich als aufmüpfig erweisen, konnte man sich immer noch von ihm trennen. »Drei Taler die Stunde, und das täglich«, kürzte Friedrich Wieck deshalb die Verhandlung ab. »Das ist mein Tarif. Außerdem müssen Sie Unterricht bei Weinlich nehmen. Sie haben sicher schon von ihm gehört. Trockene, kalte Theorie. Er wird Ihnen aufgeben, alle Tage einige Stunden drei- und vierstimmige Sätze auf der Schiefertafel zu erarbeiten. Mit musikalischen Karikaturen hat das nichts zu tun, doch ohne diese Übungen werden Sie nie ein erstklassiger Musiker werden.« Er lächelte selbstzufrieden. »Meine kleine Tochter Clara mag Ihnen als leuchtendes Beispiel dienen. Von ihr können Sie viel lernen.«
Der junge Mann ging auf diese Bemerkung nicht ein. Als überzeugter Burschenschafter hielt er nicht viel von Frauen, die sich mit Männern messen wollten – schon gar nicht, wenn sie sich noch im Kindesalter befanden. Er war überzeugt, dass auf dem Gebiet der Kunst niemand – und erst recht nicht ein Mädchen – es mit ihm aufnehmen konnte. Er brauchte kein Vorbild in Gestalt eines hochgezüchteten Wunderkindes. Damit er seinen Weg gehen konnte, kam es nur darauf an, in nächster Zeit Mutter und Vormund davon zu überzeugen, dass die Rechtswissenschaft seinem Talent widersprach und dass nur die Musik sein Leben war.
Eine goldene Laufbahn wünschte er sich als größter Pianist, den es je gegeben hatte. Ein Paganini des Konzertflügels – darunter machte es der junge Schumann nicht, der schon bei den kindlichen Kriegsspielen mit seinen gleichaltrigen Freunden immer die Rolle des Napoleon übernommen hatte. Alexander, Cäsar – das waren die ersten Vorbilder, und danach immer die berühmtesten auf jedem Gebiet, die Dichter der Romantik vor allem: LordByron, Walter Scott, Edward Young, Hölderlin, Novalis, E. T. A. Hoffmann und Jean Paul, der ganz besonders. In seinem Stil füllte der Gymnasiast Robert Schumann jede Nacht Seite um Seite, bis ihm seine Mutter die Lampe wegnahm, weil sie um sein Augenlicht fürchtete. Die verehrten Dichter wurden aber bald noch übertroffen von seinen Göttern der Musik: Mozart, Bach, Schubert, Beethoven. Oh, wie bewunderte er sie und wünschte sich zugleich, sie einst zu überflügeln!
Ein ganz Großer wollte er sein. Ein gewöhnliches Leben, wie die meisten Menschen es führten, erschien ihm wie ein halber Tod, ein Spießer zu werden, die Hölle. Hätte ihn seine Mutter besser gekannt, hätte sie erst gar nicht versucht, einen Juristen aus ihm zu machen. So zwang sie ihn unter Tränen, erst in Leipzig ein Rechtsstudium zu beginnen, das er dann im wärmeren, schwüleren Heidelberg fortsetzte. In langen Briefen berichtete er ihr jede Woche von seinen studentischen Erfolgen, doch in Wahrheit sah er die Universität nur selten von innen und dann meistens auch nur bei philosophischen Vorträgen, die mit seinem eigentlichen Studium nichts zu tun hatten. Er las, schrieb, komponierte, übte und führte im Übrigen ein recht luxuriöses Leben, das er sich in Wahrheit gar nicht leisten konnte. Nach einem ersten Konzert als Klaviervirtuose im »Museum« einer Studentenvereinigung wurde ihm klar, wie sehr er sich nach dem Applaus des Publikums sehnte. Das Ende seiner juristischen Laufbahn war gekommen.
Ein romantischer junger Mann mit einem Selbstbewusstsein, das sich noch immer an den Idolen der Kindheit erhitzte – zum Scheitern verurteilt, wäre da nicht der Realitätssinn gewesen, den er bei seinem Vater erlebt hatte. Wie oft hatte man ihm vorgehalten, dass August Schumann es aus eigener Kraft vom mittellosen Buchhandelsgehilfen zum angesehenen Buchverleger und Herausgeber des »Erzgebirgischen Boten« gebracht hatte! Ein Mann, der keine Minute seines Lebens vergeudete, doch über all der Rastlosigkeit vergaß, sich seiner Frau und seinen Kindern zuzuwenden. Einzig seiner Tochter Emilie fühlte er sichverbunden. In ihren Augen entdeckte er die gleiche
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