Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Marschner
Vom Netzwerk:
–, vor einer Ewigkeit also, war eines Abends ein junger Mann vor der Tür gestanden und hatte verlangt, Friedrich Wieck zu sprechen. Er sei Student der Rechtswissenschaft, hatte er in weltmännischem Ton erklärt. In Wahrheit aber gehöre seine ganze Liebe der Kunst, namentlich der Literatur und vor allem der Musik.
    »Können Sie sich den Unterricht bei mir überhaupt leisten?«, lautete Friedrich Wiecks erste Frage. Ein kurzes Zögern hätte genügt, und er hätte den Bewerber abgewiesen. Schulgeld musste pünktlich bezahlt werden. Stundungen gab es nicht. Auch Friedrich Wieck selbst war nie etwas geschenkt worden, und wer denbesten Lehrer wollte – Friedrich Wieck eben –, der hatte dafür Bares auf den Tisch zu legen.
    Eine halbe Stunde später kannte Friedrich Wieck die gesamte finanzielle Situation seines künftigen Schülers und seiner Familie. Keine reichen Leute, doch durchaus wohlhabend. Der Vater August war Zeitungsherausgeber und Verlagsbuchhändler in Zwickau gewesen und schon verstorben, als Robert noch das Gymnasium besuchte. Die Mutter, Christiane, und der Vormund wünschten sich Robert nun als angesehenen Juristen mit einem guten und vor allem festen Einkommen – als einen braven Bürger eben, der er selbst partout nicht sein wollte.
    Stattdessen betrachtete er sich als einen geborenen Künstler, was eigentlich ausgereicht hätte, dass Friedrich Wieck ihn ablehnte. Von Fantasiemenschen hatte er genug. Dennoch spürte er in den beschwörenden Worten des jungen Mannes etwas, das ihm vertraut war: eine Sehnsucht nach mehr als dem Üblichen, eine leidenschaftliche Hingabe an die Musik und – darin unterschieden sie sich – den Drang einzutauchen in eine Welt der Träume, für die es keinen pragmatischen Ersatz gab.
    Schon mit fünf Jahren habe er auf dem Klavier über die Lieblingslieder seiner Mutter fantasiert, berichtete Robert Schumann, und mit sieben habe die ganze Familie Tränen über ihn gelacht, weil er es verstanden habe, mit ein paar hingeworfenen Tonfolgen jeden, den er kannte, zu parodieren. Dies habe das Interesse des Organisten von Sankt Marien in Zwickau erweckt, Johann Gottfried Kuntsch, der sich nach gründlicher Prüfung bereiterklärte, ihm Klavierunterricht zu erteilen. Mit zwölf Jahren habe Robert bereits aus eigenem Antrieb den 150. Psalm vertont, »eine richtige, ausgeschriebene Komposition für Gesang, Klavier und Orchester«, wie er selbst erklärte.
    Er wollte noch weiter erzählen, doch Friedrich Wieck unterbrach ihn. Es gefiel ihm, dass der junge Mann mit offensichtlichem Respekt und Zuneigung von seinem einstigen Lehrer sprach. Deshalb wies er mit dem Kinn aufs Klavier. »Spielen Sie!«, gebot er kurz angebunden.
    Robert Schumann setzte sich. »Was wollen Sie hören, Herr Wieck?«, fragte er und knetete sich die Hände.
    Friedrich Wieck überlegte kurz. »Parodieren Sie mich!«, verfügte er dann.
    Robert Schumann errötete. Sein weltmännisches Gebaren fiel von ihm ab. »Das kann ich nicht, Herr Wieck«, wandte er ein.
    »Aber das konnten Sie angeblich doch schon mit sieben. Spielen Sie!«
    Robert Schumann zögerte noch immer. Dann beugte er sich plötzlich mit einer heftigen Bewegung übers Klavier, die Brauen bedrohlich gerunzelt. Aus der Stille heraus explodierte eine Folge schroffer Akkorde, die sogar den Zuhörer unwillkürlich zusammenzucken ließen. Danach eine kurze Stille, aus der gleichsam als Antwort eines eingeschüchterten Schülers ein paar verzagte Töne auftauchten: Tonleiterübungen ganz rechts auf der Tastatur, hohe, schüchterne Versuche, um nicht vor Angst zu erstarren. Der erste Finger, der dritte, der vierte, dann wieder der erste. Ganz kurz angeschlagen, atemlos, ängstlich ... Doch noch ehe die zaghafte Tonfolge wiederholt wurde, wieder das erste Motiv: krachende Wieck’sche Akkorde, noch strenger und unerbittlicher als beim ersten Mal, mit gesträubtem Fell gleichsam und mit zornrotem Gesicht ...
    Friedrich Wieck hob ungeduldig die Hand. »Es genügt!«, unterbrach er gereizt und versuchte, sich eine plötzliche Verlegenheit nicht anmerken zu lassen. »Jetzt spielen Sie einfach, was Sie wollen.«
    Robert Schumann verneigte sich dankend. »Eine kleine Komposition«, kündigte er an. »Meine eigene Vertonung einer Ballade von Goethe, ›Der Fischer‹ . «
    In den folgenden Minuten erkannte Friedrich Wieck, dass er diesen Schüler nicht ablehnen durfte, auch wenn sein Spiel noch Welten von Claras Präzision entfernt war. Trotzdem wollte er

Weitere Kostenlose Bücher