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Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Marschner
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sich befunden, und man wäre noch lange nicht nach Leipzig zurückgekehrt, wäre das wundervolle Paris nicht Opfer der Cholera geworden, sodass man schließlich abreisen musste, um das eigene Leben zu retten. »Heiße Tränen haben wir vergossen, als wir die Stadt zurückließen!«, versicherte Friedrich Wieck und glaubte bereits selbst jedes Wort, das er sagte. »Heiße Tränen, meine Herren! Was für ein Wunder in dieser großen Stadt: Ein junger Mensch hat sich selbst gefunden. Eine Künstlerin, ein Kind noch – und doch schon so vollkommen!«
    Der Erfolg schien Friedrich Wieck recht zu geben. Nicht nurdie Musikzeitschriften berichteten ausführlich über Claras Aufenthalt in Paris. Fast jeder Leser, auch der, der sich nur am Rande für Musik interessierte, kannte nun die Lithografie, die Eduard Fechner fast nebenbei eines Morgens in dem Pariser Hotelzimmer skizziert hatte und die Friedrich Wieck der Presse großzügig zur Veröffentlichung überließ: ein schönes, sehr junges Mädchen, das dem Betrachter aufmerksam entgegenblickte und dabei kaum merklich lächelte, den Kopf ein wenig schräg geneigt, wie der erfahrene Zeichner es empfohlen hatte.
    Friedrich Wieck frohlockte, als die Berichte über Claras Triumphe erschienen und er ihr Bild so oft vervielfältigt sah. Besonders lieb war ihm ein Aufsatz des Kritikers Lyser im Almanach »Cäcilia« . Immer wieder las er daraus vor, obwohl er den gesamten Text längst auswendig konnte. Der Autor hatte wohl Fechners Lithografie vor Augen, als er Clara beschrieb: »Das feine, hübsche Gesichtchen mit den etwas fremdartigen Augen, der freundliche Mund mit dem sentimentalen Zug ...«, schwärmte er. »Das alles erregte in mir ein ganz eigentümliches Gefühl. Es ist, als wisse das Kind eine lange, aus Lust und Schmerz gewobene Geschichte zu erzählen, und dennoch – was weiß sie? – Musik.«
    Ein paar Wochen lang schien alle Welt über Clara und ihre Triumphe in Paris zu diskutieren. Dann versiegten die Berichte nach und nach und machten anderen Neuigkeiten Platz. Trotzdem hielten die Einladungen zu Konzerten an. Friedrich Wieck wählte sorgfältig nur die besten aus. Selbst ihn hatten die Pariser Wochen viel Kraft gekostet, und er spürte, dass sich auch Clara von den Strapazen noch nicht ganz erholt hatte.
    Er beobachtete sie genau und machte sich ständig über sie Gedanken. Immer deutlicher wurde ihm bewusst, dass seine Tochter bald kein Kind mehr sein würde. Zu übersehen war auch nicht, dass immer mehr junge Männer nach den Konzerten ein Gespräch mit ihr suchten und dass Clara nicht ungern darauf einging. Manchmal nahm sie dabei sogar einen charmanten französischen Akzent an – einen Hauch nur, doch in Gegenwartihres Vaters oder ihrer Stiefmutter hatte sie noch nie in dieser Weise gesprochen. Nein, Friedrich Wieck konnte es nicht länger leugnen, sein Clärchen wurde langsam erwachsen: kein richtiges Kind mehr, wenn auch noch lange keine Frau. Ohne Zweifel aber ein junges Mädchen, das sich in seiner neuen Rolle ganz offenkundig wohl fühlte.
    Friedrich Wieck konnte vor Sorge kaum noch schlafen. Seine Clara, sein Wunderkind! Was sollte aus ihr werden, wenn der Trumpf der Kindlichkeit nicht mehr stach? Erwachsene Pianistinnen gab es mehr als genug. Was konnte getan werden, dass sich Clara Wieck von den anderen unterschied? Würde es genügen, dass sie geläufiger spielte als die übrigen? Dass sie mehr Temperament zeigte, mehr Innigkeit und mehr Charme? Dass sie hübscher aussah als die meisten und zu jedem Opfer bereit war?
    Doch sie alle drängten zum Licht, das wusste Friedrich Wieck. Jede wollte die Beste sein. Zum ersten Mal spürte er Verzagtheit in sich aufsteigen, Zweifel, Angst und die quälenden Vorboten der Mutlosigkeit, wusste man doch, wie es so vielen anderen ergangen war, die als Wunderkinder begonnen hatten: Sie endeten als enttäuschte Frauen, als Gemahlinnen und Schmuckstücke ungeliebter Männer oder als unzufriedene Klavierlehrerinnen, die ihren mittelmäßig begabten Schülern von ihrer großen Zeit vorschwärmten und damit bald nur noch ein Gähnen ernteten oder sogar ein Tippen an die Stirn, sobald sie sich wegdrehten.
    Seinem Clärchen würde dieses Schicksal erspart werden, das schwor sich Friedrich Wieck, wenn mit der Morgenröte seine Zuversicht zurückkehrte und seine Nervenschmerzen in den Wangen nachließen. Es musste ihm gelingen, Clara aus der Masse ihrer Konkurrentinnen herauszuheben und das Licht auf sie zu richten, sodass

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