Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Marschner
Vom Netzwerk:
kräftiger vor, weniger angestrengt. Das Üben habe also doch Früchte getragen. »Ich war schon nahe daran, Ihnen zu raten, sich aufs Komponieren zu verlegen«, sagteFriedrich Wieck. »Ich habe bereits mit unserem Theaterkapellmeister Dorn gesprochen, er solle mit Ihnen einige Defizite in der Kompositionslehre aufarbeiten.« Er schüttelte den Kopf. »Aber heute hatte Ihr Spiel etwas ganz Besonderes. Sanft und wütend. Milde und wild. So fesselt man ein Publikum.«
    Robert Schumann atmete auf. Vielleicht würden seine beiden Seelen doch noch zusammenfinden und die Doppelgänger sich zu einer einzigen, glücklichen Person vereinen. Was dafür zu tun war, wusste er ja nun. Am Abend, gleich nach dem Essen, würde er nicht wie üblich in den »Kaffeebaum« gehen, sondern hinauf in sein Zimmer zu seiner Cigarrenmechanik. Von nun an würde er jeden Tag ein wenig stärker sein und ein wenig sicherer, bis er sein Ziel erreicht hatte. Robert Schumann, der größte Pianist, den die Welt je erlebt hatte. Das kleine Mädchen Clara würde ihn nicht mehr wiedererkennen und sich fragen, wie sie es je wagen konnte, sich ihm überlegen zu fühlen.

Florestan
1
    Clara, die aufmerksame Tochter ihres nüchternen Vaters, merkte, dass es mit Robert Schumann abwärtsging. Auf einer schrägen Ebene bewegte er sich, an deren Ende ein Abgrund auf ihn wartete – noch nicht erkennbar, aber dennoch vorhanden, und jeder Schritt führte geradewegs darauf zu.
    Mit der Cigarrenmechanik hatte es begonnen. Quälende Übungen jeden Tag. Der rechte Zeigefinger als Feind und Opfer. Schließlich nur noch als Opfer. Sehnen, Muskel und Nerven gezerrt, entzündet wohl sogar. »Es tut so weh!«, gestand Robert Schumann Clara, ihr als Einziger. Vor Friedrich Wieck versuchte er seine Qual zu verbergen. Noch immer hoffte er, mit ein wenig Ruhe und Bädern in warmem Wasser würde sich die Reizung schon beruhigen.
    »Ich habe wohl zu viel des Guten getan«, murmelte er. Er atmete auf, als er erfuhr, dass Friedrich Wieck für mehrere Wochen auf Reisen gehen würde. »Klaviergeschäfte« nannte man das im Haus in der Grimmaischen Gasse. Eigentlich waren alle recht zufrieden mit der Ruhepause, die Friedrich Wiecks Abwesenheit mit sich bringen würde. Zwar war auch Clementine fordernd und streng, doch die letzten Wochen ihrer Schwangerschaft machten sie müde und verdrießlich. Auch sie sehnte sich nach Ruhe. Dazu kam noch die Angst vor der Geburt, die sie manches übersehen ließ, was ihr früher nicht entgangen wäre.
    Jeden Morgen, gleich nach dem Aufwachen, setzte sich Robert Schumann ans Klavier. Noch immer hoffte er, heute, an diesemneuen Tag, hätte sich seine gequälte Hand wieder erholt und er könnte spielen wie früher. Ja, wie früher. Schon damit wäre er jetzt zufrieden gewesen. Doch bereits nach den ersten Anschlägen zuckte er zurück. Stöhnte auf, kämpfte mit der Verzweiflung. Es half nicht mehr, die Hand ruhigzustellen. Der Schmerz blieb.
    »Eine Handlähmung«, konstatierte sein Freund Glock, dem Robert Schumann trotz des unabgeschlossenen Studiums mehr vertraute als den etablierten Ärzten. »Das einzige Mittel dagegen ist absolute Ruhe.«
    Robert Schumanns Stimme brach. »Wie lange?«, fragte er und bekam als Antwort nur ein Achselzucken.
    Eine Woche verging und noch eine weitere. Friedrich Wieck berichtete in ausführlichen, euphorischen Briefen von seinen Geschäftsabschlüssen und beauftragte Clementine, für die Lieferung der verkauften Klaviere zu sorgen. Trotz ihrer Schwäche gehorchte sie, seufzend, die Hüften vorgeschoben und ihren Rücken ständig mit beiden Händen umfassend.
    Clara war froh, dass ihr Vater nichts von Robert Schumanns Leiden erfuhr. Auch sie hoffte immer noch, eines Morgens würde ein Wunder geschehen und Robert Schumann würde sich zu ihr ans Klavier setzen und mit ihr voller Temperament vierhändig ein paar »Bachische Fugen abreißen«. Dann würde es endlich wieder so sein wie früher, als alle noch daran glaubten, das junge Genie aus Zwickau werde in spätestens drei Jahren die Konzertbühnen erobern und die bisherigen Könige des Klaviers das Fürchten lernen.
    Doch die Schmerzen wurden schlimmer. Glock verordnete nun »Tierbäder«, bei denen Robert Schumann seine Hand in die Eingeweide frisch geschlachteter Tiere halten sollte. Ihn ekelte davor so sehr, dass er die Behandlung immer wieder unterbrechen musste und danach mehrere Tage kein Essen bei sich behalten konnte.
    Damit war seine Kraft aufgebraucht: die

Weitere Kostenlose Bücher