Das Maedchen am Klavier
wenn man bedachte, dass immer noch ein großer Komponist aus ihm werden konnte! So groß, wie er es sich wünschte. Ein neuer Bach oder Beethoven ... nein, ein Robert Schumann eben. Sein Talent, das war er, mochten die Missgünstigen und Neider ihn auch mit den Huren im Goldhahngässchen in Verbindung bringen oder mit attischen Nächten, die sich Clara sowieso nicht vorstellen konnte.
So raffte sie ihre weiten Röcke zusammen und lief die Treppe hinauf zu seinem Zimmer. Clara und Zilia wollten Eusebius und Florestan endlich wiedersehen.
2
Leise klopfte sie an. Als keine Antwort erfolgte, etwas lauter. Angestrengt lauschte sie, doch alles, was sie vernahm, war das Klappern von Geschirr unten in der Küche und das Gebrüll des schönsten Säuglings der Welt, den seine Amme auf Clementines Befehl am äußersten Rand des Gartens in den Armen wiegte – verzweifelt und fast schon gewaltbereit.
»Herr Schumann!«, rief Clara mit unterdrückter Stimme. »Machen Sie auf! Ich weiß, dass Sie da sind.« Sie wartete. Eigentlich rechnete sie damit, dass sich schon im nächsten Augenblick die Tür öffnen und Robert Schumann lächelnd vor ihr stehen würde. »Ich bin gesund, meine liebe Clara«, würde er sagen. »Mein Finger tut nicht mehr weh. Dem Himmel sei Dank!« Dann würde er sie zu sich ins Zimmer ziehen. Sie würden gemeinsamlachen und sich freuen, weil das Unglück von ihm gewichen war. Sie würden sich ans Klavier setzen und abwechselnd fantasieren, wie nur sie beide es konnten. Ein Gespräch in Tönen, das sie enger verband als jedes Wort.
Doch die Tür blieb geschlossen. Einmal, als der kleine Clemens eine kurze Pause einlegte, kam es Clara vor, als hätte drinnen im Zimmer jemand gestöhnt. Ihr Herz fing an zu klopfen. Auf einmal hatte sie Angst. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie Robert Schumann schon länger nicht gesehen hatte. Zwei ganze Tage nicht oder gar schon drei?
Entschlossen drückte sie die Klinke nieder. Die Tür war nicht zugesperrt.
Im Zimmer war es dunkel. Die Luft war so verbraucht, dass Clara meinte, sie müsse ersticken. Dann hörte sie es wieder, dieses kraftlose Stöhnen. Sie hatte plötzlich das Gefühl, an etwas Verbotenem teilzuhaben, das vor Clementine und den anderen verborgen werden musste. So schloss sie schnell die Tür hinter sich zu, zog die Vorhänge zurück und öffnete die Fenster. Licht und Luft kamen ihr entgegen. Ihr war, als trete sie aus einem Grab hinaus in die Welt. Sogar das Kindergeschrei aus dem Garten ließ sie aufatmen.
Sie wagte nicht, sich umzudrehen. Dann tat sie es doch.
Robert Schumann lag auf seinem Bett, wie zum Ausgehen angezogen, nur seine Schuhe abgestreift am Ende des Bettes. Sein Gesicht war dunkelrot und glänzte vor Schweiß. Wieder stöhnte er.
»Herr Schumann!« Clara lief zu ihm und kniete neben dem Bett nieder. »Was ist denn mit Ihnen?« Sie sah, dass er vor Fieber zitterte.
»Hol den Glock!«, flüsterte er. »Schnell! Weißt du, wo er wohnt?«
Clara stand auf. »Aber ich kann Sie so doch nicht allein lassen!«, erwiderte sie entsetzt. »Soll ich nicht lieber die Mutter rufen?«
»Nein!« Es sollte wohl ein Schrei sein, aber es wurde nur einKrächzen. »Bring mir den Glock! Nur ihn. Sonst zu niemandem ein Wort.«
Da nickte sie gehorsam und ließ ihn allein.
Sie wusste nicht, wie schnell sie gelaufen war. Sie merkte nur, dass sie kaum noch Luft bekam, als sie endlich das Haus erreicht hatte, in dem Robert Schumanns Freund wohnte. Obwohl Mittag schon vorüber war, war er noch nicht aufgestanden. Er begriff erst gar nicht, was sie sagte, und schickte sie dann hinaus, damit er sich anziehen konnte. Danach rannten sie gemeinsam durch die engen Gassen. Es war nicht weit, aber Clara kam es vor, als nehme der Weg kein Ende. In abgerissenen Sätzen berichtete sie, wie sie Robert Schumann vorgefunden hatte.
Sie hatten Glück. Niemand bemerkte sie, als sie das Wieck’sche Haus betraten und die Treppe hinaufhasteten. Oben im Zimmer lag Robert Schumann noch genau so da wie vorher.
»Glock, alter Kamerad!«, flüsterte er. »Da bist du ja endlich.«
Clara wunderte sich, wie der verbummelte Student von einem Augenblick zum anderen das Gebaren eines Arztes annahm. Obwohl er noch immer außer Atem war, schien er plötzlich ganz ruhig zu werden. »Hol Wasser!«, befahl er Clara und wies mit dem Kinn zur Kanne auf dem Waschtisch hin. Zugleich legte er seine Hand auf Roberts Stirn und fühlte danach seinen Puls.
Clara gehorchte. Als sie zurückkam,
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