Das Maedchen am Klavier
hatte Glock dem Kranken die Schuhe wieder angezogen und das Gesicht getrocknet. Er goss Wasser in einen Becher. Gierig trank Robert Schumann und wollte mehr.
»Ich weiß noch nicht, was er hat«, sagte Glock zu Clara und trocknete sich die Hände ab. »Im günstigsten Fall ist es eine Grippe. Aber selbst dann sollte er hier nicht bleiben. Ihr habt einen Säugling und eine Wöchnerin im Haus. Die dürfen sich nicht anstecken. Wir bringen ihn zu mir.«
Robert Schumann stöhnte auf. »Ich kann nicht aufstehen!«, protestierte er. »Lasst mich nur einfach hier liegen. Morgen geht es mir bestimmt schon wieder besser.«
»Oder du bist tot«, antwortete Glock kühl. Ächzend hob erihn hoch und stützte ihn. »Reiß dich zusammen, Robert«, sagte er mit sanfter Stimme. »Die paar Schritte nur, und bald bist du wieder gesund.« Gemeinsam mit Clara schleppte er Robert Schumann die Treppe hinunter. Immer wieder knickte der Kranke ein. Trotzdem gelang es ihnen, unbemerkt bis zum Haustor zu kommen.
»Ich gehe mit«, erklärte Clara entschlossen.
Doch Glock schob sie weg. »Ganz Leipzig würde darüber reden, wenn man uns drei so sähe«, schnauzte er sie an. »Wenn ich ihn schleppe, denkt man sich nicht viel dabei. Es ist nicht das erste Mal, dass man ihn auf wackeligen Beinen sieht.« Damit stieg er die Stufen hinab. Robert Schumann hing an seiner Schulter und murmelte etwas, das Clara nicht verstand.
»Das ist das Fieber«, sagte Glock, ohne sich umzudrehen. Dann bog er in die nächste Gasse ein. Niemand kam ihnen entgegen. Es war Mittag, da aß man als anständiger Bürger und ruhte sich aus.
Unsicher und verwirrt stieg Clara hinauf in Robert Schumanns Zimmer und machte Ordnung. Sie wusste nicht, was sie tun sollte und ob es wirklich besser war, niemandem von der Erkrankung des Hausgastes zu erzählen.
Am folgenden Morgen erschien Glock mit zwei Freunden aus dem »Kaffeebaum« . Er bat um ein Gespräch mit Madame Wieck, das allerdings sehr kurz ausfiel, weil sich Clementine von den Strapazen der Geburt noch nicht vollständig erholt hatte. Alles machte ihr Mühe. Am Morgen fand sie, die sonst immer die Erste gewesen war, kaum aus dem Bett. Manchmal weinte sie aus nichtigem Anlass, vor allem aber beim Anblick des kleinen Clemens. »Du armes Kind«, hörte die Amme sie einmal sagen. »So schön bist du, das schönste Kind von allen. Und trotzdem ...« Dann schluchzte sie auf und wandte sich ab. Nicht nur der Amme fiel auf, dass Clementine das Kind niemals hochnahm und es nie streichelte oder küsste. »Sie ist nicht mehr sie selbst«, hieß es in der Küche, und keiner der Dienstboten hätte sagen können,ob das nun auf die Dauer gut war oder schlecht. Jedenfalls war es höchste Zeit, dass der Hausherr endlich von seiner Reise zurückkam, damit in der Grimmaischen Gasse wieder Ordnung einkehrte und nicht einer Wöchnerin allein alle Verantwortung aufgebürdet wurde.
»Was wollen Sie?«, fragte Clementine, ohne Glocks Gruß zu erwidern.
Der Student verbeugte sich ehrerbietig. »Mein Freund Robert Schumann hat sich eine schwere Erkältung zugezogen«, erklärte er. »Um die Bewohner dieses Hauses nicht zu gefährden, habe ich ihn bei mir aufgenommen.«
Clementine nickte müde. »Ausgezeichnet«, anwortete sie zerstreut und wandte sich zum Gehen.
Doch Glock hielt sie zurück. »Man weiß nicht, wie lange die Genesung dauern wird«, fuhr er fort. »Herr Schumann hat deshalb beschlossen, vorläufig ganz in meine Wohnung zu übersiedeln. Es ist genug Platz da für uns beide.« Er hielt Clementine einen Briefumschlag hin. »Ich habe den Auftrag, Ihnen die Miete für die beiden nächsten Monate zu übergeben, damit Sie durch seinen Entschluss keinen Schaden erleiden.«
Clementine griff zu. »Für zwei Monate?«, fragte sie nach. Einen Moment lang leuchteten ihre Augen auf. Friedrich Wieck würde sagen, sie habe gut verhandelt. »Sehr großzügig, der Herr Student!«, konnte sie sich trotzdem nicht verkneifen zu sagen. »Mir soll es recht sein. Aber geben Sie ihm den Rat, seine Finanzen nur ja ordentlich zusammenzuhalten. Noch lebt er auf Kosten seiner verehrten Frau Mutter.« Sie steckte den Umschlag in ihre Rocktasche.
Glock wies mit der Hand nach oben. »Dürfen wir jetzt Herrn Schumanns Sachen abholen?«, erkundigte er sich.
Clementine nickte. »Nur zu«, murmelte sie. Dann traten ihr plötzlich Tränen in die Augen, obwohl sie Robert Schumann doch nie besonders gut leiden konnte. »Ich wünsche Ihrem Freund baldige
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