Das Maedchen am Klavier
Besserung. Sagen Sie ihm, er ist hier stets willkommen. Sie wissen ja von unseren geselligen musikalischenAbenden, wenn mein Gatte zu Hause ist.« Ihre Stimme zitterte. »Und richten Sie ihm bitte aus, dass ich ihm für seine Rücksichtnahme danke.«
Die beiden Helfer liefen die Treppe hoch, doch Glock blieb zögernd stehen. »Wie Sie wissen, bin ich Student der Medizin«, sagte er verlegen. »Auch ohne die letzten Prüfungen weiß man da so manches.«
Clementine starrte ihn ungeduldig an. Im oberen Stockwerk eröffnete der Säugling soeben ein neuerliches Schreikonzert.
»Johanniskraut«, sagte Glock in bescheidenem Ton. »Es hellt die Stimmung auf, Madame, wenn Sie wissen, was ich meine.« Damit folgte er seinen Freunden.
Gemeinsam schleppten sie Robert Schumanns Habe hinaus auf einen Leiterwagen.
Auch Clara sah nun dabei zu. Der Gedanke kam ihr in den Sinn, dass dieser Auszug das Spiegelbild der Ankunft Robert Schumanns darstellte. Ob wohl jedes wichtige Ereignis im Leben seinen Gegenpol aufweisen konnte? Oder entsprang die Vorstellung von Doppelgängern nur einer Sehnsucht nach Symmetrie? Dies zumal in einer Zeit, in der alles geordnet und reguliert zu sein hatte. Immer sollte sich die Waage in Harmonie befinden. Senkte sie sich zu sehr nach der einen Seite, musste schnell ein Gegengewicht einspringen. Kein geduldiger Eusebius, der sich nach Erfolg sehnte und ihn durch ehrsame Anstrengung erringen wollte, ohne einen zornigen Florestan, der den Knoten gewaltsam durchtrennte. Keine Ankunft ohne einen späteren Abschied. Keine Gesundheit ohne eine darauffolgende Krankheit. Ja, gesund und voller Hoffnung war Robert Schumann in dieses Haus gekommen. Krank hatte er es verlassen ... Und die Hoffnung? Wo war sie geblieben? Kirschen hatte er ihr gebracht, weil er sich daran erinnerte, wie gerne sie sie aß. Was sollte sie ihm schenken, nun, da es ihm so schlecht ging?
»Darf ich einmal zu Besuch kommen?«, fragte sie schüchtern, als Glock das letzte Gepäckstück verstaute.
Glock zögerte. »Später, Fräulein Clara«, sagte er dann. »Ichgebe Ihnen Bescheid, wenn das Schlimmste überstanden ist.« Dann machten sich die drei auf den kurzen Weg.
Clara blickte ihnen nach. »Fräulein« hatte er sie genannt. Es war nicht das erste Mal, dass jemand sie so ansprach, aber das erste Mal, dass es ohne ein Augenzwinkern geschah.
Während der nächsten Tage wartete Clara auf eine Nachricht von Robert Schumann, zumindest auf eine kurze Erklärung seines Freundes Glock, ob es dem Kranken bereits besser gehe oder ob man immer noch um ihn bangen müsse. Doch niemand meldete sich. Die einzigen Neuigkeiten erfuhr Clara vom Diener August, der ihr hinter vorgehaltener Hand zuraunte, der feine Herr Musikstudent sei wohl in Teufels Küche geraten. Von einer gewöhnlichen Erkältung könne jedenfalls keine Rede sein. Zudem habe man den halben Doktor Glock beobachtet, wie er im Hinterzimmer der Apotheke Quecksilber einkaufte. Wofür man das aber brauche, wisse ja wohl jeder.
»Ich nicht«, antwortete Clara trotzig. »Wofür denn?«
Doch August ging auf diese Frage nicht ein. »Was besonders auffällig ist«, fuhr er triumphierend fort, »die hübsche Christel ist ebenfalls von der Bildfläche verschwunden, und angeblich geht der Glock seither auch bei ihr täglich ein und aus.« Er nickte bedeutungsschwer. »Was sagt dir das, Clara? Du warst doch in Paris. Da ist so etwas ja wohl gang und gäbe.« Damit eilte er davon, um seinen Worten Gelegenheit zum Nachklingen zu ermöglichen.
Clara setzte sich ans Klavier, ihr Zufluchtsort, ihre wahre Heimat. Sie wünschte, sie hätte jemanden gehabt, mit dem sie über all das Unverständliche sprechen konnte, das sie bewegte und verwirrte. Ihr Vater hätte kein Verständnis für ihr Interesse an Robert Schumanns Problemen und Clementine auch nicht. Eigentlich war Robert Schumann selbst der Einzige, mit dem Clara darüber zu sprechen gewagt hätte. Doch um ihn ging es ja. Er war es, der Unruhe in ihr Leben gebracht hatte, dieses ungewohnte Mitgefühl, das ihr Vater nie billigen würde.
Doch kannte sie Robert Schumann überhaupt? Wenn sie sich über Musik unterhielten, redeten sie die gleiche Sprache. Darüber hinaus aber war seine Welt ganz verschieden von ihrer eigenen. Männer, die ihre Abende bei bayrischem Bier verbrachten und folgenlos über Politik räsonierten, bestenfalls noch über Kunst oder Frauen ... Zumindest das Letzte konnte Clara auch nur vermuten. Was war das für eine Welt,
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