Das Mädchen Ariela
wandte sich an Ariela, die abseits stand.
»Kommst du mit, Ariela?«
»Nein. Ich bleibe bei Peter.«
Es war Moshe Rishon, als habe er einen Schlag ins Gesicht bekommen. Sein Gesicht verfärbte sich, aber er behielt die Haltung, die eines Offiziers würdig ist, wandte sich schroff um und verließ mit schnellen Schritten die Ruinenstadt. Ariela folgte ihm wie im Gleichschritt; am Tor blieb er stehen und wandte sich um. Sie waren so weit entfernt, daß Schumann ihre Worte nicht mehr hören konnte.
»Schämst du dich nicht?« fragte Rishon gepreßt.
»Nein. Warum?«
Sie sah ihn stolz an, und er wich ihrem Blick aus. Was er fühlte, war jetzt unwichtig. Von Liebe zu reden war Unsinn.
»Morgen ist Krieg«, sagte er heiser.
»Du weißt es?«
»Ja. Dayan hat deinen Vater angerufen. Ich war dabei. Morgen früh kämpfen wir um unser Leben. Und du wirfst dich einem Deutschen an den Hals. Ein israelischer Leutnant …«
»Peter liebt unser Land. Er wird immer hier bleiben.«
»Du willst ihn heiraten?«
»Ja.«
Moshe Rishon nickte ein paarmal, so wie es Spielzeugpuppen tun, wenn man sie anstößt. »Es wird sich alles regeln«, sagte er dumpf. »Es wird alles ins Gleichgewicht kommen. Der Krieg wird alle Probleme lösen. Auf Wiedersehen, Ariela.«
Sie gab keine Antwort. Sie sagte auch nichts, als er zögerte, sie fragend ansah, in den Jeep stieg und wartete, ehe er abfuhr.
Mit verschlossenem Gesicht sah sie ihm nach und merkte nicht, daß Schumann ihr gefolgt war, hinter ihr stand und über ihre Schulter ebenfalls dem davonfahrenden Jeep nachblickte.
Bist du wirklich Moshe Rishon, dachte sie. Wie anders bist du, Moischele. Du hast mich das Laufen gelehrt, du hast mir geholfen, die ersten Buchstaben zu schreiben. Mit dem Gewehr im Arm hast du mich zur Schule gebracht und wieder abgeholt. Und auch den ersten Kuß bekam ich von dir, als ich Studentin wurde und nach Tel Aviv ging. Ich habe immer gedacht, es sei ein Bruderkuß gewesen … Armes Moischele …
Sie zuckte zusammen, als Schumann die Arme über ihre Brust legte. Da schloß sie die Augen und lehnte den Kopf weit zurück an seine Schulter.
»Er liebt dich auch«, sagte Schumann mit trockener Kehle.
»Jetzt erst weiß ich es.« Sie streckte die Arme aus und umklammerte seinen Nacken. Ein Zittern durchlief ihren Körper. »Und er wird nun unser Feind sein …«
Die Nacht war fast vorüber. Im Osten stieg der fahle Morgen über den Negev-Felsen empor. Es war kühl. Der Tau schimmerte an den Steinen und Tamarisken.
Im Kibbuz Qetsiot gingen die Feldarbeiter heute nicht zu den Geräteschuppen, um die Traktoren herauszufahren. Sie standen vor dem Gemeinschaftshaus, mit umgehängten Gewehren, Stahlhelmen auf den Köpfen, an den Koppeln Handgranaten und Spaten. Auch die Mädchen waren bewaffnet. Sie sahen zur ägyptischen Grenze hin und warteten. Auf der Straße von Revivim rollten ununterbrochen Lastwagenkolonnen und Schützenpanzer mit Infanterie.
Ariela hatte in Schumanns Zelt geschlafen. Das Feldbett war zwar schmal, aber wo hätten zwei Liebende keinen Platz? Joppa, das Äffchen, war der einzige, der nicht verstand, daß er nicht mehr zu Füßen seines Herrn schlafen konnte. Er hatte gekreischt und versucht, Ariela in die Finger zu beißen.
Wie kurz ist eine Nacht! Wie schnell vergehen die paar Stunden! Als sie zurückkamen aus Subeita, war es schon dunkel. Schumann zündete die Petroleumlampe an und beruhigte Joppa, das Äffchen, das laut protestierte, weil es den ganzen Tag allein hatte bleiben müssen mit einer Schüssel saurer Kamelmilch und vier Bananen. Dann machte Schumann eine Büchse mit Rindfleisch auf und holte aus einer Kühltasche Butter und Brot. Ariela saß auf dem Feldbett. Sie beobachtete ihn, wie er im Zelt hin und her ging, den Gaskocher entzündete, aus dem Wasserkanister den Teekessel füllte, einen der Klapptische leer räumte und ihn deckte, mit unzerbrechlichen Plastiktellern, hohen Kaffeetassen und sogar einer Tischdecke, für die er einen Lappen Zellstoff aus dem großen Verbandkoffer abriß.
Ich liebe ihn, dachte Ariela und lehnte sich zurück. Er ist ein wunderbarer Mann. Mein Herz wird schwer, wenn ich ihn ansehe. Aber wieviel Zeit haben wir noch für uns? In der Luft riecht es nach Brand, nach glühendem Eisen und verwesenden Menschen. Ich rieche es ganz deutlich …
»Ich habe gar keinen Hunger«, sagte sie leise.
Dr. Schumann drehte sich um. Als er Arielas Augen sah, stellte er die Fleischbüchse auf den Tisch zurück.
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