Das Mädchen Ariela
nickte. Plötzliche Angst überkam ihn und hemmte seinen Atem.
Auf der Straße nach Nitsana ratterten die Panzer. Von weither dröhnten Flugzeugmotoren durch die Morgendämmerung. Er hatte das Gefühl, daß heute alles anders klang, gefährlicher, näher.
Er trat hinaus vor das Zelt und lehnte sich an die Sandsackmauer. Noch war es dunkel, die Silhouetten der Panzer hoben sich gegen den Himmel ab wie Schattenspiele. Eine Rotte Jagdbomber fegte von Beersheba heran zur Grenze.
»Woran denkst du, Peter?«
Sie war auch aus dem Zelt gekommen, reisefertig, das Gewehr in der Hand. Dreißig Meter zur Straße hin, auf noch festem Boden, stand ein kleiner Lastwagen. Mit ihm war Ariela gekommen. Sie konnte alles. Motorrad fahren, Lastwagen lenken, schießen und küssen.
»An den Krieg! An diesen verdammten Krieg!« Dr. Schumann ballte die Fäuste und trommelte gegen die Sandsackbarrikade. »Bleib hier, Ariela! Komm mit mir zurück nach Jerusalem …«
Sie sah ihn an, als spräche er eine unverständliche Sprache. »Nach Jerusalem?« wiederholte sie gedehnt. »Ich soll feige sein?«
»Du bist ein Mädchen! Ich liebe dich! Du gehörst zu mir!«
Er riß sie an sich. Sie stolperten, fielen gegen die Sandsäcke und hielten sich aneinander fest. Er vergrub sein Gesicht an ihrer Schulter und faßte mit beiden Händen in ihre offenen Haare. Er spürte, wie er vor Angst um dieses Mädchen keine Luft mehr bekam.
»Dieser Krieg!« schrie er. »Was geht er uns an? Wir wollen leben …«
»Ich bin eine Sabra«, sagte Ariela ruhig. »Das ist das eine. Und ich liebe dich … das ist das andere. Doch wenn es um das Land geht, bin ich nur noch eine Sabra. Laß mich gehen, Peter …«
»Dieser verdammte Krieg!« schrie Schumann. »Ich verfluche alle, die das Wort Krieg aussprechen!« Er sah hinaus in die Wüste, über die die Morgendämmerung glitt. Der Himmel war fahl und weit. »Noch ist kein Krieg! Noch können wir hoffen …«
Über sie hinweg donnerte ein Geschwader Bomber. Und dann bebte die Erde unter ihnen, und der Morgenhimmel färbte sich rot mit Blitzen und Feuer. Dort, wo die Grenze nach Ägypten war, stiegen Staubfontänen hoch. Erst dann hörte man das Donnern von Kanonen, das Bersten der Bomben, das Rattern von Maschinengewehren. Vor ihnen, auf der Straße, neben der Straße, überall sprangen Erdfontänen hoch, heulten Granaten heran, stiegen Feuersäulen auf, sanken zusammen und hinterließen qualmende Trichter.
Dr. Schumann stand starr hinter seinen Sandsäcken und hielt Ariela umklammert.
»Der Krieg …«, stammelte er. »Das ist der Krieg …«
Ariela sah auf ihre Armbanduhr. »Sieben Uhr. Moshe hat nicht gelogen.« Sie atmete tief auf. »Ich wußte es, Peter. Am fünften Juni um sieben Uhr beginnt der Krieg. Jetzt geht es um uns alle …«
Sie riß sich los, stülpte den Stahlhelm über ihre Haare, warf das Gewehr auf den Rücken und schwang sich über die Sandsäcke. Dr. Schumann griff ins Leere, als er sie zurückhalten wollte. Sie war schneller.
»Ariela!« brüllte er. »Bleib hier! Wo willst du denn hin? Du kannst doch bei dem Feuer nicht zum Wagen …«
Dreihundert Meter von ihnen explodierte ein Panzer. Ein Volltreffer der ägyptischen Artillerie hatte ihn zerfetzt.
»Ariela!« schrie er noch einmal. Dann sprang er aus der Deckung und rannte ihr nach.
2
Niemand hätte geglaubt, daß Narriman bis Beersheba kommen würde. Als sie sich am Stadtrand von Jerusalem von Mahmud verabschiedete und in den Landrover stieg, einen wüstenerprobte n, robusten Wagen mit dicken Profilreifen, die wie Ketten in den Sand griffen, hatte Mahmud die Hände gegen den Himmel gehoben und theatralisch gerufen: »Allah, verzeihe mir – ich habe getan, was ich konnte, um sie von dieser Dummheit abzuhalten! Aber Frauen und störrische Kamele brauchen eine Peitsche! Wie könnte ich Sie aber je schlagen, Narriman?«
Dann stand er in einer Staubwolke, hustete, wischte sich den Sand aus den Augenwinkeln und bewunderte diese Frau, die mehr Mut hatte als zehn Männer von der Art Mahmuds.
Die Fahrt war schrecklich.
Die breiten Straßen nach Tel Aviv, Ashkalon und in den Süden nach Sodom und Eilat waren völlig verstopft. In der Sonne rosa wogende Staubwolken schwebten gegen den vor Hitze milchig-blauen Himmel. Panzer, Kettenfahrzeuge, Lastwagenkolonnen, Motorräder, marschierende Infanterie, Jeeps, Fernmeldetrupps, Artillerie, Omnibusse mit singenden Soldaten und uniformierten Mädchen versperrten selbst die sandigen
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