Das Mädchen Ariela
um Ariela, und er tat es mit besonderer Freude, weil Schumann ihm zusah. »Wie fühlst du dich?«
»Zerschlagen, Moshe. Wandern wir sofort los?«
»Nein, wir schlafen erst einmal rund um die Uhr. Morgen, bei Einbruch der Abenddämmerung, ziehen wir los. Wie ist es mit Ihnen, Doktor? Halten Sie durch?«
»Mit Ariela wandere ich bis zum Mond.«
»Das ist nicht nötig!« Rishons Stimme war hart. »Bis Sodom genügt!«
Er wandte sich ab und holte aus der Führerkabine ein kleines Zelt, einen Benzinkocher, einen Topf und einen Karton mit Lebensmitteln. Neben dem Wagen baute er das Zelt auf, während Schumann aus Steinen einen Herd errichtete, in den Ariela den Kocher setzte.
»Wir schlafen zusammen im Wagen, Doktor«, sagte Rishon kalt. »Das Zelt ist für Ariela allein. Damit wir uns verstehen.«
»Sie müssen mich für einen großen Flegel halten, Major!«
»Verzichten Sie bitte darauf, zu erfahren, für was ich Sie halte!« Rishon nahm unter dem Sitz eine Maschinenpistole heraus und zwei Schnellfeuergewehre. Er reichte sie Schumann und Ariela, und Ariela warf ihr Gewehr wie gewohnt am Riemen über die Schulter. Schumann lehnte sein Gewehr an den Hinterreifen des Milchwagens.
»Können Sie überhaupt schießen?« fragte Rishon.
»Nicht berufsmäßig«, antwortete Schumann. Rishon schwieg. In Israel werde ich ihn zum Clown machen, dachte er. O Gott, laß uns erst in Israel sein … laß uns Jerusalem wiedersehen …
Sie aßen alle aus einem Topf, tauchten ihre Löffel in den Brei aus Gulasch und Nudeln, den Ariela gekocht hatte. Dazu tranken sie verdünnten Tienschoke, einen süßen Saft aus einer arabischen Kaktusfrucht.
Der Sternenhimmel über ihnen war klar und wunderbar. Nur in der Wüste gibt es solche Sterne. Nur hier ist der Himmel so unendlich und doch so nah. Vielleicht gibt es eine Ausnahme … der Himmel über Rußlands Steppen und Taiga … aber das ist ein anderer Himmel. In der Taiga ergreift er das Herz mit der Schwere der Unendlichkeit. In der Wüste ist er schön. Wie ein bestickter Samtvorhang.
Ariela lag in ihrem kleinen Zelt und schlief schon. Rishon hockte auf dem Sitz hinter dem Steuer und rauchte. Schumann ging vor dem Wagen hin und her.
»Ich möchte Ihnen etwas sagen, Major«, begann er leise und trat an die Führerkabine heran.
»Bitte!« Rishon rauchte mit unbeweglichem Gesicht. Er sah den Arzt nicht an.
»Wenn es an der Grenze Komplikationen geben sollte, wenn wir beschossen werden … kümmern Sie sich um Ariela. Kümmern Sie sich nicht um mich!«
»Das hatte ich auch nie vor.«
»Danke, Major.«
»Wissen Sie, daß Sie Ariela für ihr ganzes Leben unglücklich machen, wenn Sie sie heiraten? Ihre Freunde in Tel Aviv und Jerusalem würden nie verstehen, wie sie einen Deutschen heiraten konnte. Man wird sie ausstoßen! Wollen Sie das?«
»Nein«, sagte Schumann gepreßt. »Ich denke, wir leben in einer neuen Zeit?«
»Ja, aber diese Zeit wurde mit dem Blut unserer Väter geschrieben, und Sie wissen doch als Arzt, wie schwer ein Blutfleck zu entfernen ist. Aus einem Hemd wäscht man es aus … Aber die Seele ist mit dem Blut eingefärbt.«
»Und das soll nie anders werden?«
»Fragen Sie mich nicht danach!« Rishon zerdrückte seine Zigarette auf der Wagentür. »Ich kann ohne Deutsche auskommen …«
Später schliefen sie gemeinsam auf der Doppelbank des Milchwagens, zugedeckt mit einer einzigen Decke.
In der Nacht wachte Schumann plötzlich durch ein unangenehm streichelndes Gefühl an seinem linken nackten Bein auf. Er hob den Oberkörper, blieb dann steif, wie erstarrt sitzen, und kniff Rishon in den Rücken.
»Was haben Sie denn?« fragte Rishon und wollte sich herumdrehen. »Warum kneifen Sie mich?«
»Bleiben Sie liegen, Rishon!« zischte Schumann. »Um Himmels willen, rühren Sie sich nicht. Um mein linkes Bein liegt eine Viper. Ich kenne sie, wir hatten davon zehn Stück im Labor des Krankenhauses. Wenn sie zubeißt, ist es tödlich … Bleiben Sie ganz ruhig liegen!«
Major Rishon biß die Zähne aufeinander und lag steif, wie erfroren. Aber seine Gedanken jagten.
Das ist die Gelegenheit, die das Schicksal mir gibt, dachte er. Ich brauche nur das Bein zu bewegen, und sie beißt zu. Ich brauche nur zu husten – kann mir jemand einen Vorwurf machen, wenn ich husten muß? Die Viper wird zubeißen … und es gibt keine Rettung mehr …
»Ihr Kopf liegt auf meiner Wade«, flüsterte Schumann. Seine Lippen zitterten. »Bewegen Sie sich bloß nicht, Major. Das
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