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Das Mädchen auf den Klippen - Riley, L: Mädchen auf den Klippen - Girl on the Cliff

Das Mädchen auf den Klippen - Riley, L: Mädchen auf den Klippen - Girl on the Cliff

Titel: Das Mädchen auf den Klippen - Riley, L: Mädchen auf den Klippen - Girl on the Cliff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucinda Riley
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der bitteren Kälte so lange still stehen konnte. Als Mary frierend den Gasofen anzündete und sich ein Tuch um die Schultern legte, kam ihr eine Idee.
    Eine Woche später ging sie zu dem jungen Mann hinunter.
    »Ich habe da etwas für Sie, was Sie warm hält, wenn Sie den Laternenpfahl stützen.« Mary reichte ihm ein Bündel und wartete eine ganze Weile auf eine Reaktion. Als sie sich gerade wieder entfernen wollte, wandte er ihr matt lächelnd den Kopf zu.
    »Ein Wollmantel, damit Sie nicht frieren«, erklärte sie.
    »F-Für mich?«, fragte er mit rauer Stimme.
    »Ja. Ich wohne da oben.« Mary deutete zu dem erleuchteten Fenster hinauf. »Ich habe Sie beobachtet. Weil ich nicht möchte, dass Sie vor meiner Tür an Unterkühlung sterben, habe ich den Mantel für Sie genäht.«
    Er schaute zuerst den Mantel, dann sie an. »F-Für mich?«, wiederholte er.
    »Ja. Würden Sie ihn nun endlich nehmen? Er ist ziemlich schwer.«
    »Aber … Ich habe kein G-Geld dabei. Ich k-kann Ihnen nichts dafür geben.«
    »Den schenke ich Ihnen. Ich kann es nicht ertragen, Sie hier unten zittern zu sehen, wenn ich es oben warm und gemütlich habe. Nehmen Sie ihn«, drängte sie ihn.
    »D-Das ist schrecklich n-nett von Ihnen, Miss …?«
    »Mary. Ich heiße Mary.«
    Er nahm den Mantel und probierte ihn vor Kälte zitternd an.
    »Er p-passt genau! Wie k-konnten Sie …?«
    »Sie stehen ja jeden Abend hier unten.«
    »D-Das ist das schönste Geschenk, das ich je b-bekommen habe.«
    Mary fiel auf, dass der Mann zwar stotterte, aber mit dem gleichen Oberschichtakzent wie Lawrence Lisle sprach.
    »Jetzt kann ich ruhiger schlafen. Gute Nacht, Sir.«
    »G-Gute Nacht, M-Mary. Und … danke.«
    »Keine Ursache«, sagte sie und ging zurück ins Haus.
    Einige Wochen später, als Mary beinahe schon zu dem Schluss gekommen war, dass sie der Einsamkeit nur entfliehen konnte, wenn sie nach Irland zurückkehrte und als alte Jungfer bei Seans Familie endete, traf sie sich am Piccadilly Circus mit Nancy.
    »Himmel, siehst du schick aus!«, rief Nancy aus, als sie Tee und Buttertoast bestellten. »Wo hast du den neuen Mantel her? So einen habe ich in einer Zeitschrift gesehen, der kostet ein Vermögen. Hast du eine Erbschaft gemacht?«
    »Ich habe ihn einfach von der Abbildung in der Illustrierten kopiert.«
    »Du hast ihn selber genäht?«
    »Ja.«
    »Ich wusste, dass du gut mit der Nadel umgehen kannst, aber der Mantel sieht aus wie das Original!«, stellte Nancy voller Bewunderung fest. »Könntest du mir auch einen machen?«
    »Sicher, wenn du mir sagst, in welcher Farbe.«
    »Wie wär’s mit scharlachrot? Würde mir das stehen?« Sie strich sich die blonden Locken zurück.
    »Sogar sehr gut«, antwortete Mary. »Allerdings müsste ich für das Material was verlangen.«
    »Natürlich. Und für deine Arbeitszeit. Wie viel?«
    Mary überlegte. »Na ja, zehn Shilling fürs Material und ein paar Shilling fürs Nähen …«
    »Einverstanden!« Nancy klatschte begeistert in die Hände. »Sam führt mich nächsten Donnerstag aus. Ich glaube, er will mir einen Heiratsantrag machen. Könntest du den Mantel bis dahin fertig kriegen?«
    »Eine Woche …« Mary überlegte. »Ja, warum nicht?«
    »Ach, Mary, danke! Du bist ein Schatz.«
    Der rote Mantel markierte einen Wendepunkt in Marys Leben. Nancy zeigte ihn ihren Freundinnen, und schon bald standen sie vor Marys Tür Schlange. Sogar ihre junge Nachbarin Sheila, die in einem der schicken Warenhäuser in der Nähe des Piccadilly Circus arbeitete, war Marys Mantel aufgefallen. Sie hatte Mary auf der Straße angesprochen und sie gebeten, einen für sie zu schneidern. Als Sheila eines Abends zur Anprobe zu Mary kam, unterhielten sich die beiden noch bei einer Tasse Tee.
    »Du solltest dich als Schneiderin niederlassen, Mary. Du hast Talent.«
    »Danke. Aber findest du es richtig, mit etwas Geld zu verdienen, das einem Spaß macht?«
    »Natürlich! Ich habe viele Freundinnen, die bereit wären, dich dafür zu bezahlen, dass du ihnen etwas nach der neuesten Mode nähst. Wir wissen doch alle, was die Sachen im Laden kosten.«
    »Ja.« Mary schaute aus dem Fenster auf den jungen Mann, der in seinem schwarzen Wollmantel am Laternenpfahl stand. »Kennst du den jungen Mann da unten?«
    Sheila blickte ebenfalls hinunter.
    »Mein Vermieter sagt, seine Freundin hätte vor dem Krieg hier gewohnt. Sie wollte Krankenschwester im St. Thomas’s Krankenhaus werden, wurde an der Somme von einem scheuenden Pferd niedergetrampelt

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