Das Mädchen auf den Klippen - Riley, L: Mädchen auf den Klippen - Girl on the Cliff
aufpassen, aber die trinkt so viel G-Gin, dass sie mich doppelt sieht.«
Mary schmunzelte. »Dann müssen wir uns mit der Aufseherin in Verbindung setzen. Schließlich wollen wir nicht, dass sie sich Sorgen macht, oder?«
»Solange du mir v-versprichst, ihr nicht zu sagen, wo ich bin. Sonst holt sie mich, und ich w-will nicht zurück. Lieber sterbe ich.«
Mary wusste, dass sie an jenem Abend nicht mehr vernünftig mit der erschöpften Anna würde reden können. »Ich sage ihr nur, dass du wohlbehalten in Cadogan House aufgetaucht bist und wir uns nach Weihnachten bei ihr melden. Wie ist das?«
Anna nickte widerstrebend.
»Du siehst aus, als könntest du ein Bad vertragen. Es ist nicht ganz so wie in Cadogan House, aber immerhin bist du hinterher sauber.«
Mary brachte Anna zum Gemeinschaftsbad am anderen Ende des Flurs und ließ Wasser in die Wanne ein. Sie fragte Anna, wie sie den Weg nach London und Colet Gardens gefunden habe.
»Das w-war leicht«, antwortete Anna. »Ich k-kenne die Station, weil wir mal einen Ausflug nach L-London gemacht haben, St. Paul’s anschauen. Ich hab mich aus der Schule geschlichen und bin mit dem Zug nach W-Waterloo gefahren. Von d-dort hab ich einen B-Bus zum Sloane Square genommen und bin den restlichen Weg nach C-Cadogan House zu Fuß gegangen. Da hat Mrs. C-Carruthers mich in ein T-Taxi zu dir gesetzt.«
»Du wusstest doch, dass das Haus geschlossen wird. Was hättest du gemacht, wenn niemand dort gewesen wäre?« Mary half Anna aus der Wanne und legte ein Handtuch um sie.
»So weit hab ich nicht g-gedacht«, gab sie zu. »Ich w-weiß, dass der Riegel am K-Küchenfenster kaputt ist. Ich hätte es aufmachen und reinklettern können. Aber Mrs. C-Carruthers war da und hat mir gesagt, wo du w-wohnst.«
Fast bewunderte Mary Anna, die in den vergangenen vier Monaten erwachsener geworden war und Eigeninitiative entwickelt hatte.
Mary brachte Anna zurück in ihr Zimmer. »Leg du dich ins Bett. Ich gehe runter und frage, ob ich das Telefon meines Vermieters benutzen darf. Ich will Mrs. Carruthers sagen, dass sie die Aufseherin in der Schule anrufen und sie beruhigen soll.« Mary sah Annas besorgten Blick. »Nein, wir verraten ihr nicht, dass du bei mir bist. Außerdem sind wir morgen sowieso zum Weihnachtsessen in Cadogan House.«
Annas Miene hellte sich auf. »Wirklich? W-Wie schön. Sie fehlen mir alle sehr.«
Sobald Anna im Bett lag, fielen ihr die Augen zu.
»Schlaf gut, Liebes. Morgen ist Weihnachten.«
17
In Cadogan House sammelten die Bediensteten kleine Geschenke für Anna. Als sie am folgenden Morgen mit Mary eintraf, wurde sie von den sechs verbliebenen Mitgliedern des Personals voller Freude begrüßt. Wie immer am Weihnachtstag kochte Mrs. Carruthers mittags für alle. Nachdem Anna ihre Geschenke ausgepackt hatte, setzten sie sich in die Küche, um die Gans zu essen. Hinterher erhob sich Nancy und zeigte stolz den funkelnden Edelstein am Ringfinger ihrer linken Hand. »Sam und ich wollen heiraten.«
Sam holte aus dem Keller eine Flasche Port zum Anstoßen.
Nach dem gemeinsamen Aufräumen schlug Nancy vor, im Salon Scharade zu spielen.
»Ja!« Anna klatschte begeistert in die Hände.
Auf der Treppe fragte Mary: »Findet ihr die Idee wirklich gut?«
»Wer sollte uns daran hindern, sie umzusetzen?«, fragte Mrs. Carruthers, beschwipst von Gin und Port, mit einem verächtlichen Schnauben zurück. »Schließlich hat uns die junge Herrin eingeladen, nicht wahr, Anna?«
Um acht Uhr kehrten sie vergnügt und zufrieden in die Küche zurück.
Mrs. Carruthers wandte sich an Mary. »Bleibst du heute Nacht mit Anna hier?«
»Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht«, gestand Mary.
»Bring sie doch in ihr altes Zimmer und komm dann nach unten zu mir. Ich mache uns einen Tee.«
Mary nickte und ging mit Anna hinauf.
»Was für ein wunderbarer T-Tag! Eins der schönsten W-Weihnachten, die ich je erlebt habe!«, schwärmte Anna oben.
»Das freut mich, Liebes. Ich hatte es mir auch nicht so herrlich vorgestellt. Gute Nacht, träum was Schönes.«
»Gute Nacht, Mary. Mary?«
»Ja?«
»Du und Nancy und Sam und Mrs. C-Carruthers … Ihr seid meine F-Familie, stimmt’s?«
»Ich denke schon«, antwortete Mary und verließ das Zimmer.
»Was wollen wir nun mit dem kleinen Fräulein machen?«, fragte Mrs. Carruthers, als Mary sich an den Küchentisch setzte und einen Schluck Tee nahm.
»Ich weiß es nicht«, seufzte Mary.
»Wir sollten Mr. und Mrs. Lisle
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